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Die Türkei und der Truthahn
Auf das Thema gestoßen bin ich durch das Video
De
Türkei existiert nimma von Tapakapa. Seit 2022 will die Türkei im diplomatischen
Verkehr in allen Sprachen dieser Welt nur noch mit dem türkischen Landesnamen
als Türkiye bezeichnet werden. Über die Gründe kann man nur spekulieren.
Tapakapa vermutet, dass es die Homonymie der engl. Wörter Turkey
„Türkei“ und turkey „Truthahn“ sei, die die Türken stört.
Trotzdem ist das alles ziemlich seltsam. Denn erstens ist die Benennung des aus Amerika stammenden Geflügels mit dem Landesnamen der Türkei zwar sachlich falsch, aber nicht ehrenrührig. Und zweitens ist, wie Tapakapa anmerkt, das ü für die meisten Sprachen ein Showstopper, weil nicht auf der regulären Tastatur verfügbar. (Außer im Dt. und Türk. – und in weiteren Turksprachen, wie z.B. Aserbaidschanisch – gibt es ü noch im Ung. und Estn. Hingegen schreiben Finn., Dän., Schwed. diesen Laut mit y, Franz. meist mit u. In einigen roman. Sprachen kommt ganz selten das u mit Trema vor, um getrennte Aussprache anzuzeigen: gue [ge] vs. güe [gwe].)
Umbenennung ist ja neuerdings (2025) auch das Plaisir von US-Präsident
Donald Trump („Golf von Amerika“). Dazu gibt es den köstlichen Sketch
Trump
renames everything von Puppet Regime, in dem Trump sagt:
„And, of course, Turkey will now be known as Chicken.– (Reporter:)
Now, why are you renaming Turkey in particular?– (Trump:) Why are we doing it?
Because we can. What are they going to do about it? Does Turkey want
to beef over being called
Chicken? We'll call them Beef.
What else? Oh, also, we're going to name Hungary Thirsty. But don't
worry, the prime minister there [Ministerpräsident Viktor Orbán] will do whatever
I tell him.“
Der Landesname
ist abgeleitet vom Namen des Volkes, das sich in Inschriften des 6. bis 8. Jh. selbst als türk bezeichnet (in alttürk. Schrift, auch Orchon-Runen genannt: 𐱅𐰇𐰼𐰛). Zur Unterscheidung von den heutigen Türken werden sie in der Wissenschaft meist Kök-Türken genannt. Diese hatten in dieser Zeit in Zentralasien zwei sog. Kaganate (Reiche) mit Zentrum in der Mongolei. Über die Bedeutung des Namens türk gibt es etliche Theorien, was bedeutet, dass wir sie nicht kennen.
Im Dt. bedeutet Türke auch soviel wie „Vorspiegelung falscher Tatsachen, Schwindel, Täuschung“ (veraltet), dazu das Verbum türken „vortäuschen, fingieren“. Der Ausdruck stammt laut Duden und Kluge aus der Militärsprache, doch ist seine genaue Herkunft unklar (vgl. schweizer. Türgg „Manöver, Gefechtsübung“). Plausibler ist die Duden-Erklärung: „staatliche Maßnahme, die in der österreichisch-ungarischen Monarchie unter Ausnutzung der Furcht vor den Türkeneinfällen (16./17. Jahrhundert) getroffen wurde“. So wie heute viele Maßnahmen oder ihre Unterlassung mit Sicherheit oder Datenschutz begründet werden.
Andere übertragene Verwendungen sind frz. la tête de Turc „Buhmann,
Prügelknabe“ (wörtl. „Türkenkopf“ – auf einer Zielscheibe?) und engl. Turk's
head „Türkenkopf-“, das als Bestimmungswort einiger Subst. auftaucht
(Wikipedia weiß von einem
Turk's head knot
und einem
Turk's head brush).
Turk wurde im Engl. auch metonymisch für „Moslem“ gebraucht (veraltet),
to turn Turk „(ein) Türke werden“ bedeutete „zum Islam konvertieren“,
übertragen auch „tief sinken, verkommen, verwahrlosen“. Im Neugr. kann die
Wendung γίνομαι Τούρκος „(ein) Türke werden“ auch soviel bedeuten wie „wütend
werden, einen Wutanfall bekommen“.
Die sog. Jungtürken
waren eine politische Bewegung im Osmanischen Reich, die ursprl. auf Modernisierung
und liberale Reformen drängten. Danach wurde dieser Begriff im Dt. für jüngere
Politiker mit radikalen Ideen verwendet.
Das Grimmsche Wörterbuch kennt eine Anzahl weiterer wenig schmeichelhafter Zusammensetzungen mit Türken-. Dies hat seinen Ursprung in den Eroberungskriegen des Osmanischen Reiches, die in den zwei Türkenbelagerungen Wiens (1529 und 1683) gipfelten. Verständlich, dass die „Türken“ besonders im Habsburgerreich keinen so guten Ruf genossen.
Quelle: | Wikimedia (ursprl. Flickr) |
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Urheber: | Lip Kee Yap, 2008 |
Lizenz: | CC BY-SA 2.0 |
Bearb.: | beschnitten, verkleinert |
Quelle: | Wikimedia |
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Urheber: | Dimus, 2005 |
Lizenz: | gemeinfrei |
Bearb.: | geringfügig beschnitten, verkleinert |
Im 16. Jh. bezeichnete man im Engl. zunächst das
Helmperlhuhn
(Numida meleagris, syn. Numida ptilorhyncha) als turkey hen/cock/fowl
„Türkei-Henne/-Hahn/-Huhn“, kurz turkey. Denn es wurde über das
Osmanische Reich („Turkey“) aus Afrika nach Europa eingeführt.
Dieses Geflügel heißt heute auf Engl. helmeted guinea fowl.
Fast zeitgleich wurde aber auch der größere Truthahn (Meleagris gallopavo),
der aus Amerika kam, so genannt. Entweder weil er ebenfalls über das von den
Osmanen beherrschte Nordafrika nach Europa kam, oder (wahrscheinlicher) weil
man noch nicht so genau zwischen Amerika und Indien unterschied. (Columbus war
ja angeblich der Meinung, in Indien gelandet zu sein.)
Auf derselben (irrtümlichen?) Vermischung von Perlhuhn und Truthahn beruht
Linnés Benennung des letzteren mit μελεαγρίς meleagrís
(Herkunft unklar), das ja im Griech. das Perlhuhn bezeichnet.
Eine ähnliche Fehlbenennung liegt auch in Türkenkorn für Mais vor (kommt ursprl. aus Mexiko).
Das dt. Wort Truthahn kommt nach dem Etymologie-Duden von 1989 von dem Lockruf „trut! trut!“. Kluge/Seebold 2011 und der Duden Online (abgefragt 2025) stellen es zu mnd. droten „drohen“ (vgl. anord. þrútna „anschwellen“), wegen der Drohgebärde (welcher?) des Tieres. Daneben ist der Begriff Pute (dazu mask. Puter) gebräuchlich, er kommt nach dem Etymologie-Duden von dem niederdt. Lockruf „put! put!“, nach Kluge/Seebold von dem Ruf des Vogels selbst. Früher hieß das Tier auch indianischer, türkischer, welscher Hahn. Eine alte Bezeichnung ist calecutischer Hahn (nach der ind. Hafenstadt Calicut). Andere Bezeichnungen, von denen Wikipedia weiß, wie Kutschhahn (= kal(e)kutischer Hahn), Kollerhahn (zu Koller „Wutausbruch“?) oder Pogger, Pockerl (von ung. poka < pulyka „Pute“) habe ich allesamt nie zuvor gehört. Pute wird auch im Sinne von „dumme, eingebildete weibliche Person“ (ähnlich wie Gans) gebraucht.
Im Frz. heißt die Pute la dinde, der Puter le dindon (das Jungtier le dindonneau), dies aus poule/coq d'Inde „indisches Huhn/Hahn“ mit derselben Vermischung von Amerika und Indien wie in dt. calecutischer Hahn. Ähnlich heißt der Truthahn auch im Türk. hindi, zu hint „indisch“; im Russ. der Truthahn индю́к indjúk, die Pute индю́шка indjúška oder инде́йка indjéjka, ebenso poln. indyk bzw. indyczka. Im Port. heißt der Truthahn peru, vermutlich nach dem südamerikan. Andenstaat.
Rätselhaft ist it. il tacchino. Es bedeutet vielleicht soviel wie „gefleckt“, vgl. frz. la tache „Fleck, Makel“, it. la tacca „Kerbe, Makel, Markierung“. Allerdings passt dieser Name eher zum Perlhuhn als zum Truthahn. Ebenso rätselhäft ist tschech. mask. krocan, fem. krůta (alttschech. noch indyán, oder morák zu moře „Meer“, weil aus Übersee stammend). Rejzek leitet krůta von dt. Grutte, angeblich eine Verballhornung von Truthahn, ab, die Beziehung zu krocan ist unklar. Im Slowak. heißt es immer noch mask. moriak (zu more „Meer“), fem. morka.
Im Span. gibt es mehrere Bezeichnungen (Leo spuckt deren acht aus), von denen manche nur lokale Verwendung haben. Am verbreitetsten ist el pavo (zoolog. fem. la pava), von lat. pāvō, -ōnis m. „Pfau“, auch zusammengesetzt mit el gallo „Hahn“ zu gallipavo, -va. In Mexiko, Honduras und El Salvador sagt man auch el guajolote, von Nahuatl huexolotl [wehʃoːloːtɬ] „Truthahn“. In Costa Rica, El Salvador, Honduras und Mexiko gibt es el chompipe (fem. la -pa) oder el chumpipe (Herkunft unklar); in Kolumbien und Venezuela el pisco (fem. la -ca), von Quechua pisqu „Vogel“; in Mexiko auch el mulito (aus dem Matagalpa, einer ausgestorbenen Sprache Nicaraguas?). Und noch einige andere mehr.
Auch das Griech. hat eine Handvoll an Bezeichnungen: ο γάλος gálos (< it. gallo (d'India) „indischer Hahn“), mit πουλί „Vogel“ zusammengesetzt zu fem. η γαλοπούλα galopoúla (das Jungtier το γαλόπουλο); ο ινδιάνος indiános, gekürzt o διάνος diános, „indischer“, mit agr. ὄρνις „Vogel“ zusammengesetzt zu ινδ-όρνις indórnis, Pl. ινδόρνιθες, „Indienvogel“; ο κούρκος koúrkos, fem. η κούρκα koúrka < slaw. *kurъ „Hahn“ / *kurica „Henne“ (russ. ку́рица „Henne, Huhn“, poln. kurka „Hühnchen“); ο τούρκος toúrkos „Türke, türkischer“ (also ähnliche Analogie wie im Engl.?).
Im Arab. heißt der Truthahn ديك رومي
dīk rūmī „römischer (= byzantinischer) Hahn“, das weibl. Tier
فرخة رومية farḫa rūmīja „römisches
Huhn“. Das ist insofern bemerkenswert, als es zur Zeit der Einführung des
Truthahnes kein byzantin. Reich mehr gab: Konstantinopel wurde 1453 von den
Osmanen erobert.
Auf Hebr. תַּרְנְגוֹל הוֹדוּ tarnegôl hôdû, verkürzt
תַּרְנְהֹוד tarnehôd, „indischer Hahn“.
Auf Chin. 火雞 (simpl.
火鸡) huǒjī „Feuerhuhn/-hahn“?.
Auf Jap. 七面鳥 shichi-men-chō
„siebengesichtiger Vogel“?, phonet. (Katakana)
シ チ メ ン チョ ウ.
Autor: E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 30. Juni 2025