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Zeitungsente


Auf das Thema bin ich über die Beschäftigung mit fake news gestoßen. Der Artikel im Grimmschen Deutschen Wörterbuch zitiert als ersten Gewährsmann einen Satz aus „Luther 3, 282“, kein Werktitel, kein Kontext. Was Luther angeblich alles gesagt und geschrieben haben soll, geht auf keine Kuhhaut (die durchaus ein paar Quadratmeter Pergament hergibt). Daher habe ich mich auf Quellensuche begeben und zu den genannten Stellen möglichst eine gedruckte Quelle gesucht. Das folgende ist also mehr Quellensammlung denn Etymologie.

Als Ente bezeichnet man eine Falschmeldung in der Presse.[1] Die Ente kann einfach durch ungeprüfte Übernahme von Falschmeldungen, aber auch als bewusste Fälschung entstehen. Letzteres bezeichnet man im Engl. als fake news „Falschnachricht“, wenn es um bewusste Irreführung geht, als hoax „Streich, Fopperei“, wenn ein Scherzbold damit andere an der Nase herumführen will. Letzteres findet man hauptsächlich im Internet, aber auch in den Aprilausgaben mancher Printmedien (z.B. dem Computermagazin c't).

Eine Sonderform der Zeitungsente ist der Grubenhund, ein inhaltlich unsinniger Leserbrief, der abgedruckt wird, weil die Redaktion den Unsinn nicht bemerkt hat.[2] Vor dem Aufkommen der Presseagenturen konnten Leserbriefschreiber sich als Augenzeugen wichtiger Ereignisse gerieren und kamen so in die Zeitung. Der erste Grubenhund war ein Leserbrief eines Ing. J. Berdach (in Wahrheit Karl Kraus) in der Neuen Freien Presse vom 22. Feb. 1908. Der Ausdruck Grubenhund geht zurück auf einen Leserbrief eines Dr. Ing. Winkler (in Wahrheit Arthur Schütz) in der Neuen Freien Presse vom 18. Nov. 1911 über das Erdbeben vom Vortag. Darin heißt es: „Völlig unerklärlich ist jedoch die Erscheinung, daß mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab.“[3] – Ein Grubenhund ist kein Tier, sondern eine Art Güterlore in einem Bergwerk.

  1. Zeitungsente.– Wikipedia de
  2. Grubenhund (Zeitung).– Wikipedia de
  3. Neue Freie Presse, 18. Nov. 1911, S. 10. Der Leserbrief ist in der mittleren Spalte unter der Überschrift „Die Wirkungen des Bebens im Ostrauer Kohlenrevier“

Blaue Enten

Woher kommt diese Bezeichnung? Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm sagt zur Ente unter 6): man nennt eine in zeitungen verbreitete gleichsam fortschwimmende, wieder auftauchende fabel oder lüge heute gewöhnlich ente. früher hiesz es blaue ente“.[1] Als Beleg werden u.a. Luther, Murner und Franck zitiert.

Der Reformator Martin Luther (1483-1546) empfiehlt in seinen Anweisungen zur deutschen Messe, für die Predigt die Postillen (Predigtsammlungen) heranzuziehen; anderfalls bestehe die Gefahr, dass von blauen Enten gepredigt wird.

Darnach geht die Predigt vom Evangelio/ des Sontags oder Fests. Und mich dünckt/ Wo man die deudsche Postillen gar hette durchs Jar/ Es were das beste/ das man verordente die Postillen des tages/ gantz oder ein Stücke/ aus dem Buch dem Volck für zulesen/ Nicht alleine umb der Prediger willen/ die es nicht besser künden/ sondern auch umb der Schwermer und Secten willen zuverhüten/ Wie man sihet und spüret an den Homilien in der Metten/ das etwa eben auch solche Weise gewesen ist/ Sonst wo nicht Geistlicher Verstand/ und der Geist selbs redet durch die prediger (welchem ich nicht wil hiemit Ziel setzen/ Der Geist leret wol bas reden denn alle Postillen und Homilien) So kömpts doch endlich dahin/ das ein jglicher predigen wird/ was er wil/ Und an stat des Evangelij und seiner Auslegung/ widerumb von blaw Enten gepredigt wird/ Denn auch das der ursachen eine ist/ das wir die Episteln und Evangelia/ wie sie in den Postillen geordnet stehen/ behalten/ Das der geistreichen Prediger wenig sind/ die einen gantzen Evangelisten oder ander Buch/ gewaltiglich und nützlich handeln mügen.[2]

Blaue Enten scheinen hier weniger Lügen zu sein, denn inhaltsleerer Schmonzes. Wie ja auch heute Prediger gern die Sonntagsperikope als Aufhänger benutzen, um dann über irgendwelches Zeug zu räsonieren, das mit dem Text gar nichts zu tun hat.

Der franziskanische Theologe und Satiriker Thomas Murner (1475-1537) schreibt in Anlehnung an Sebastian Brants Narrenschiff eine Narrenbeschwörung, in der menschliche Torheiten karikiert werden. Das 32. Kapitel ist überschrieben „von blawen enten predigen“:

Wer armen lütten sagt ein tandt
   Der sich in warheit nie erfandt
Und arme lüt mit lugen schediget
   Der selb von gott zů ruck hat prediget
[…]
Also hondt sy arm lüt geschediget
   Und von blawen enten prediget
So dick und offt sindt wir betrogen
   Wie man das gelt von uns hat gelogen
[…]
Wann die geistlichkeit wil schinden
   So kan sy ouch blaw enten finden
Und prediget von dem lutenly
   Und von versotnem haber bry[3]

Hier ist von Lügen und Betrügen die Rede, aber auch von Belanglosigkeiten wie angebranntem Haferbrei.

Später nutzt Murner sein Talent in der Auseinandersetzung mit der Reformation. In seinem fast 4800 Verse umfassenden polemischen antireformatorischen Gedicht schreibt er:

Meß halten ist abgötterei
   Sagt an wa es geschriben sei
Das man opffer in der meß
   Und des testaments vergeß
Das cristus hat zu letz gelon
   Am nachtmal mit den iüngern thon
Als nichtz / thun unß den blunder ab
   Lug ieder das er schühung hab
Von den siben sacramenten
   Es sein alsamen nur blaw enten
Das die pfaffen hon erdacht
   Damit sie gelt hon heruß bracht[4]

Murner wirft den Lutheranern vor, für sie seien die Sakramente blaue Enten (also Unsinn), von Klerikern erdacht, um den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. (Darf ich als Lutheraner einwerfen, dass dieser Vorwurf den Sachverhalt grob verkürzt?) Merkers Kommentar erklärt: „blaw enten: Narrentand, dummes Zeug, blauer Dunst“.[5]

Sebastian Franck von Wörd (1499-1542), zunächst katholischer Theologe, dann lutherischer Prediger, rät in seiner Suada gegen die Trunksucht anscheinend, dass sich ein Prediger eigentlich von dannen machen sollte, wenn er merkt, dass seine Predigt nicht zu einer Änderung des Lebenswandels der Menschen führt:

Aber man kan uns nit von pölstern brinngenn/ predigenn ymmer in hauffen den Gensen oder blawen enten/ on alle frucht weils nur geet/ milch/ und woll/ und gelt gibt. Ach des jamers wir seind nit allein vol von weyn/ sonder vol vol des schwindel gaists/ jrthumb unnd vuwissenheyt/ Man solt die offenliche laster straffen/[6]

Mir ist unklar, was „Gänse und blaue Enten“ hier sein sollen.

Friedrich Zarncke zitiert in seiner Ausgabe von Sebastian Brants Narrenschiff im Anhang interpolierte Mottoverse aus einer bearbeiteten Ausgabe (Der Narren Spiegel, Straßburg 1545):

Wer jedem Narren glauben will
   Der sagt von blawen Enten vil,
Der ist ein Narr und auch thor,
   Und kumpt zů letst in grosz gefor.[7]

In einer Sammlung von Satiren aus der Reformationszeit finden sich folgende Zeilen der Kritik an der Geistlichkeit:

Es seint zů vil ungelerter pfaffen.
   Der bauer wil sich nimer laßen affen.
Das merkt, ir fürsten herren und regenten!
   Es seint fürwar nit blaue enten,
Es ist der ernst und warheit gar.
   Got wirts nit me dulden, sag ich fürwar.[8]

Die Kritik ist kein leeres Geschwätz („nit blaue enten“), es geht um eine wichtige Angelegenheit und ernsthafte soziale Probleme.

  1. Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch.– Bd. 3. Leipzig: Hirzel, 1862. s.v. ente, Sp. 509, Z. 8 (Digitalisat im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities) Die Grimms zitieren Luther nach der Jenaer Ausgabe, s. das Quellenverzeichnis Bd. 1, Sp. lxxx.
    Die Bände der achtbändigen Jenaer Ausgabe von Luthers Werken beim Münchener Digitalisierungszentrum (MDZ): Bd. 1, 1575 | Bd. 2, 1572 | Bd. 3, 1573 | Bd. 4, 1574 | Bd. 5, 1575 | Bd. 6, 1578 | Bd. 7, 1581 | Bd. 8, 1580
  2. Luther, Martin: Deudsche Messe und Ordnung Gottesdiensts, 1526. In: Der Dritte Teil aller Bücher und Schrifften des thewren seligen Mans Gottes/ Doct. Mart. Luth. […].– Jena: Richtzenhan, 1573. (d.i. Bd. 3 der Jenaer Ausgabe von Luthers Werken) Bl. 282a (es sind die Blätter paginiert, a bezeichnet hier die Vorderseite mit der Blattzahl, b wäre die unpaginierte Rückseite)
  3. [Murner, Thomas:] Doctor thomas Murners Narren beschweerung.– [Straßburg: Knoblouch, 1518] [S. 129] (ohne Pagin.)
  4. [Murner, Thomas:] Von dem grossen Lutherischen Narren wie in doctor Murner beschworen hat.– [Straßburg, 1522] [V. 3147-3158, V2b-V3a]
  5. Murner, Thomas. Von dem großen Lutherischen Narren. Hrsg. v. Paul Merker.– Straßburg: Trübner, 1918. Text S. 218; Kommentar S. 408f
  6. Franck, Sebastian: Von dem grewlichenn laster der Trunckenheit so inn disen leisten(?) Zeytenn erst schier mit den Frantzosen auff kommen.– [Augsburg, 1531?] [S. 15f] (ohne Pagin.)
  7. Sebastian Brants Narrenschiff. Hrsg. v. Friedrich Zarncke.– Leipzig: Wigand, 1854. S. 129a
  8. Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Hrsg. v. Oskar Schade.– Bd. 1, 2. Ausg. Hannover: Rümpler, 1863. S. 11, zitiert sind V. 141-146.

Lugende

Georg Büchmann (1822-1884), berühmt für seine Sammlung geflügelter Worte, hat eine andere Erklärungshypothese zum Ursprung des Begriffs Zeitungsente[1] und verweist auf – Luther. Der verwendet (anscheinend öfters) den Begriff Lugenda, Lügend(e), ein Kofferwort aus Lug, Lüge und Legende. Daraus sei die Lüg-Ente und schließlich unsere Ente geworden.

Büchmann zitiert aus der Predigt Luthers vom 18. Nov. 1537 (25. So. n. Trin.). Doch ist nicht klar, welche Werkausgabe er benutzt. Ich finde dazu einerseits die lat.-dt. Predigtmitschrift Rörers(?) (Weimarer Ausg. Bd. 45, S. 259ff). Da heißt es: „Praecipue miracula S. Francisci, ist ein sack voller erlesenen grosser, schendlichen lügen.“ (Bd. 45, S. 262). Hier keine Lugende. Und andererseits die ausformulierte Predigt in der Hauspostille 1544 (WA, Bd. 52, S. 544ff). Da ist aber kein Hinweis auf die Heiligenlegenden.
Der Eintrag über die Ente ist auch nicht allzu lange im Büchmann enthalten gewesen. In der 10. Aufl. 1877 war er noch nicht drin, die älteste Auflage mit dem Eintrag, die ich finde, ist die 13. von 1882. In der 26. von 1920 ist der Eintrag schon wieder weg.

Nachdem Luther sich darüber ausgelassen hat, dass die Herkunft vieler islamischer Glaubensansichten unklar sei, weil der Alcoran (=Koran) von vielen Bearbeitern verändert wurde, klagt Luther, dass das auch für viele der christlichen Lehren gelte:

Und zwar ists nicht viel besser bey uns Christen auch gangen/ Dann da sind so viel Lügen in unseren Alcoranen/ Decretalen/ Lügenden/ Summen/ und unzelichen Büchern/ Da doch niemand weis/ Woher sie komen/ Wenn sie angefangen/ Wer die Meister seien. Denn man heutes tags nicht recht erfaren kan/ wer die Meister gewest sind des Grewels/ Das die eine gestalt des heiligen Sacraments aus der Kirchen gethan ist. Item/ Wer der heiligen Lügenden S. Christoff/ Georg/ Barbara/ Catharina/ Ursula/ und der on zal/ mit jren wundern auffbracht/ Wer das Messopffer/ Fegfewer/ Ablas erstlich erdacht/ und dergleichen Abgötterey ohn masse erstlich angefangen haben/ Noch da sie in gewonheit kommen/ Und in Bücher geschrieben/ Müssen sie der heiligen Kirchen Artikel heissen/ Und alle die Ketzer sein/ die dran zweiueln oder dawider gleuben.[2]

Woher kommt der Usus, die Kommunion nur in einerlei Gestalt (kein Laienkelch) auszuteilen? Woher kommt die Lehre vom Messopfer (dass Christus in jeder Kommunionsfeier wieder geopfert wird), woher Fegefeuer und Ablass? Woher die Heiligenlegenden, die Luther für – ­milde ausgedrückt – fiktiv hält?

In einer Art offenem Brief an die Geistlichkeit, die sich unter Papst Paul III. zum Konzil in Mantua einfinden werde, entschuldigt sich Luther für sein Fernbleiben aus gesundheitlichen Gründen. (Allerdings gab es unter Paul III. kein Konzil in Mantua, sondern ab 1545 das Konzil von Trient.) Nach freundlichem Geplänkel greift Luther dann die hohen kirchlichen Würdenträger an:

Denn solche ungeschwungene verzweiuelte Lügen und Abgötterey haben sie nicht alleine geleret/ Sondern auch mit gnaden und Ablas bestetigt/ Und alle Welt damit erfüllet/ So doch nu/ Gott lob/ alle Welt greifft/ Und jr selbs auch wol verstehet und wisset/ Das solchs rechte Lügenden/ erstunckene/ teufliche Lügen/ und eitel verfürerische Abgötterey sind/ Sie aber damit nicht allein/ Wie Wolffe/ die Scheflin Christi zurissen und gefressen/ Sondern/ wie die Apostel und Propheten des hellischen Satans/ die heilige Kirche zerstöret und verwüstet/ eine grewliche hellische Mordgruben draus gemacht/[3]

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622-1676) war ein produktiver Schriftsteller, sein Hauptwerk ist Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. In einem anderen Werk, dem zweiten Teil seiner Vogelnestgeschichte, lässt er den Ich-Erzähler über das jüdische Verständnis von Jes 60,18-22 referieren:

sie verstehen aber diese letztere Wort (welche auff Hebräisch also lauten/ Oeni Adonai Bocitto Ochysche, das ist/ das will ich/ spricht der HErr/ machen in einer eylenden Zeit) dahin/ es werde Gott unversehens/ und in höchster Eyl/ gleichsam auff der Post ihren Messiam senden/ und sie in das gelobte Land/ wie in ein Irdisch Paradeiß setzen/ und diese wenige Wort halten sie weit höher/ als ihren güldenen Affen/ weil sie sich einbilden/ diese Verheissung und Weissagung seye noch nicht erfüllet/ müsse derowegen noch nothwendig/ und zwar bey ihres Moschiachs Ankunfft erfüllt werden.
Alle diese Lugenden und Fabelpossen faste ich so wol in mein Köpffgen/ als wann meiner Seelen Heyl daran gelegen gewest wäre/ und ich glaube/ wann ich den Catechismum noch zu lernen gehabt hätte/ daß ich solchen nicht so bald und so fleissig begriffen/ als diese Narrenpossen;[4]

Der Erzähler vertritt die mittelalterliche christliche Anschauung, wonach Gott das Judentum verworfen habe und alle seine Verheißungen auf das Christentum übergegangen seien. Das jüdische Verständnis ist für ihn Fabelpossen.

Christian Reuter (1665-nach 1712) war ein satirischer Schriftsteller des Barocks. In seiner Reisebeschreibung lässt er den Ich-Erzähler namens Schelmuffsky berichten:

kam ich denn wieder zu meinem Herrn/ und war etwan ein paar Stunden über der Zeit aussen gewesen/ so wuste ich allemal so eine artige Lügente ihn vorzubringen/ daß er mir sein lebetage nichts sagte.[5]

Dies scheint die zweite Fassung des Schelmuffsky zu sein. In einer anderen, mutmaßlich der ersten, Fassung lautet dieselbe Passage:

Wenn ich denn wieder zu meinem Herrn kam/ und er mich fragte/ wo ich so lange gewesen/ wuste ich so eine Flick-Lügen vorzubringen/ daß er mir sein Tage nichts sagte. Einsmal aber ertapte er mich auff einer legente, und es fehlete nicht viel/ daß er mir das Blaßrohr nicht auff meinem Buckel zerschlagen hätte.[6]
  1. Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes.– 13. verm. u. umgearb. Aufl. Berlin: Haude und Spener, 1882. S. 54
    Geflügelte Worte. Der Citatenschatz d. deutschen Volkes, gesammelt u. erläutert v. Georg Büchmann. Fortges. v. Walter Robert-tornow.– 19. verm. u. verb. Aufl. Berlin: Haude & Spener, 1898. S. 124
  2. Luther, Martin: Trewe Warnung D. M. L. [Doctor Martin Luthers] für des Mahmets oder Türcken grewliche Lere und Glauben, 1542. In: Der Achte Teil und letzte aller Bücher und Schrifften des thewren seligen Manns Gottes/ Doctoris Martini Lutheri […].– Jena: Rebarts Erben, 1580. (d.i. Bd. 8 der Jenaer Ausgabe von Luthers Werken) Bl. 36a
  3. Luther, Martin: Lügend von S. Johanne Chysostomo/ an die heiligen Veter in dem vermeinten Concilio zu Mantua, 1537. In: Der Sechste Teil aller Bücher und Schrifften/ des thewren seligen Manns Gottes/ Doctoris Martini Lutheri […].– Jena: Rebarts Erben, 1578. (d.i. Bd. 6 der Jenaer Ausgabe von Luthers Werken) Bl. 500a
  4. [Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von:] Deß Wünderbarlichen Vogelnessts zweiter theil.– o.O., o.J. [Strassburg: Dolhopff, 1675]. Kap. XIII, S. 166f
  5. [Reuter, Christian:] Schelmuffskys Warhafftige Curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande. 1. Theil. Und zwar die allervollkommenste und accurateste Edition, in Hochteutscher Frau Mutter Sprache eigenhandig und sehr artig an den Tag gegeben von E. S.– Schelmerode, 1696 [in Wahrheit 1697?]. S. 18
    Auch in: Christian Reuters Werke. Hrsg. v. Georg Witkowski.– Leipzig: Insel-Verl., 1916. Bd. 2, S. 147
  6. [Reuter, Christian:] Schelmuffsky Curiose und Sehr gefährliche Reißebeschreibung zu Wasser und Land.– St. Malo, 1696. In: Christian Reuters Werke. Hrsg. v. Georg Witkowski.– Leipzig: Insel-Verl., 1916. Bd. 1, S. 277

Canard

Was gegen die beiden obigen Erklärungsversuche spricht: Auch im Frz. bedeutet le canard „Ente“ (der Wasservogel), aber auch „Zeitungsente“ (und wohl von daher auch „Zeitung, Käseblatt“, d.h. Zeitung von minderer journalistischer Qualität). Zurückgeführt wird diese Bedeutung auf den Ausdruck bailler un canard à moitié „eine Ente zur Hälfte vermieten“, das ist so viel wie „täuschen, hinters Licht führen, übers Ohr hauen“.[1] Der Ausdruck dürfte aber veraltet sein, die Wörterbücher verzeichnen für die Zeitungsente le bobard „Schwindel, Lügenmärchen“ und le canular „Ulk, hoax“.

Das Engl. hat das frz. Wort übernommen: canard (laut Pons betonen die Briten auf der ersten Silbe, die Amerikaner auf der zweiten) bedeutet „Zeitungsente, Falschmeldung“.

Nach dem Eintrag bei Büchmann, 19. Aufl. (s. Fußnote [1] des Kapitels Lugende) bedeutet auch span. ánade „Ente“ und „Zeitungsente“. Doch ist letztere Bedeutung weder in meinem gedruckten Pons noch in den Online-Wörterbüchern verzeichnet. Da heißt die Zeitungsente je nach Wörterbuch el camelo „Schmeichelei; Schwindel“ (nicht zu verwechseln mit el camello „Kamel“), el borrego „einjähriges Lamm; Schafskopf; Falschmeldung“ (aber offenbar nur in Lateinamerika) oder el bulo „Gerücht, Falschmeldung“.

Es wäre naheliegend anzunehmen, dass das dt. Wort eine Lehnübersetzung aus dem Frz. ist. Kluge meint allerdings, dass das Wort an sich schon dt. ist (s.o. blaue Enten), aber die Einschränkung der Bedeutung auf die Zeitungslüge ans Frz. angelehnt ist.

Auch im Russ. heißt у́тка utka „Ente“ und „Zeitungsente“. Auch hier ist an eine Lehnübersetzung zu denken.

Auch im Dän. kann Ente offenbar die Falschmeldung in der Zeitung bedeuten. Im norw.-dän. etymologischen Wörterbuch von Falk/Torp findet sich dafür eine eigenartige Erklärung:

Für die bedeutung „lüge“ (avisand) = d. Ente (Zeitungsente) liegen erzählungen von wunderbaren tieren in fernen ländern zugrunde; so wird in Adam Lonicers „Kräuterbuch“ (1550) von „entenbäumen“ auf den Orkneyinseln erzählt: auf diesen wuchsen früchte in muschelform, und wenn diese ins wasser fielen, schlüpften enten heraus; vgl. mnd. bômgôs „anas bernicla“, ält. dän. bomgaas „eine art enten, die nach der meinung des gemeinen mannes in Schottland auf bäumen wachsen“ (Moth). Der ursprung des ausdrucks läßt sich bis ins 16. jahrhundert zurückverfolgen, wo blaue Ente (blaue Gans) als umschreibung für „lüge“ und Lugente als umbildung von Legende vorkommt. Auch die franzosen brauchen canard für „lüge“.[2]

Fabeltiere gibt es sonder Zahl. Warum wurde gerade die Baumgans zum Inbegriff der Zeitungslüge? Und wie hängt sie mit der blauen Ente des Dt. zusammen?

  1. CANARD. Etymologie de ~. CNRTL
  2. Falk, Hjalmar Sejersted; Torp, Alf: Norwegisch-dänisches etymologisches Wörterbuch. Auf Grund d. Übers. von H. Davidsen neu bearb. dt. Ausg.– Bd. 1. Heidelberg: Winter, 1910. (Germ. Bibl., I/IV/1) s.v. and, S. 27

Ente

Und das dt. Wort Ente selbst? Ahd. anut[1], mhd. ant und ente[2], anord. ǫnd[3], ags. ened[4] (aber engl. duck!) gehen zurück auf protogerm. *anudi, von idg. *anət-[5], vgl. gr. νῆσσα (> att. νῆττα), böot. νᾶσσα < *νᾱτ-jα[6], lat. anas, anatis (auch -it-) f.[7], aks. ǫty, russ. у́тка utka[8], lit. ántis. Unklar ist (lt. Frisk wegen der unsicheren Bedeutung), ob auch ai. ātí- „ein Wasservogel“ hierhergehört.

Frz. le canard ist vermutlich abgeleitet von caner „quaken, gackern“ mit dem Suffix -ard, wie in le malard „Erpel“ (le mâle „Männchen, Rüde“ + -ard). Frz. la cane „Entenweibchen“ ist vermutlich sekundär von canard abgeleitet. Nach anderen aber ist cane primär und aus einer Kreuzung aus caner und *ane (= lat. anas, anatis) entstanden. Engl. duck kommt von aengl. *ducan „ducken, tauchen“.

  1. Schade, Oscar: Altdeutsches Wörterbuch.– Halle: Buchhdlg. d. Waisenh., 1866. s.v. anut, S. 17a
  2. Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. 1.– Leipzig: Hirzel, 1872. s.v. ant, Sp. 79, Digitalisat im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities; s.v. ente, Sp. 568, Digitalisat -"-
  3. Vries, Jan de: Altnordisches etymologisches Wörterbuch.– 2. verb. Aufl. Leiden: Brill, 1977. s.v. ǫnd, S. 687a
  4. An Anglo-Saxon dictionary. Based on the ms. collections of […] Joseph Bosworth, hrsg. u. verm. v. T. Northcote Toller.– Oxford: Clarendon, 1882. s.v. ened, S. 251a
  5. Pokorny, Julius: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. Bd. 1.– Bern, München: Francke. s.v. anət-, S. 41f
  6. Frisk, Hjalmar: Griechisches Etymologisches Wörterbuch.– Heidelberg: Winter, 1960. s.v. νῆσσα, Bd. 2, S. 317f
  7. Walde, Alois: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3., neubearb. Aufl. v. J[ohann] B[aptist] Hofmann. Bd. 1.– Heidelberg: Winter, 1938. s.v. anas, S. 44
  8. Vasmer, Max: Russisches etymologisches Wörterbuch. Bd. 3.– Heidelberg: Winter, 1958. (Indogerman. Bibl.) s.v. у́тка, S. 193

Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 6. Dez. 2023