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Lutetia, Paris
Im Zuge der Vorbereitungen zu einer Parisreise (die dann aber leider nicht stattgefunden hat) habe ich mich ein bisschen in die Geschichte von Paris eingelesen, bin dabei aber über die Antike nicht wesentlich hinausgelangt. Insbes. hat mich die Frage nach dem antiken Namen dieser Stadt und den Quelltexten dazu beschäftigt. Die Ergebnisse lege ich hier vor. Meine Quellen waren u.a.:
Paris entsteht an der Kreuzung des von Südost nach Nordwest (von Burgund an die Kanalküste) verlaufenden Wasserwegs von Seine und Marne (welch letztere kurz vor Paris in die Seine mündet) und einer ungefähr von Nord nach Süd (von der Nordsee nach Spanien) verlaufenden Landstraße. Hier liegen ursprl. etwa sieben Inseln in der Seine.
Die Inseln sind (von Ost nach West):
Eine weiter flussabwärts gelegene Gruppe von Inseln (ungefähr am Branly Quai) wurde zur Île des Cygnes (oder Île aux Cygnes, auch Île Maquerelle genannt) verbunden. Ende 18./ Anfang 19. Jh. wurde die langgestreckte Insel mit dem linken Seineufer verschmolzen. Die heutige Île des Cygnes ist ein 1825 künstlich aufgeschütteter Damm.
Im 3. Jh. v.Chr. besiedelt ein vermutlich keltischer Stamm, die Parisier, eine dieser Inseln, wahrscheinlich die heutige Île de la Cité. 52 v.Chr. erobert Cäsars General Labienus diese Siedlung, die bei Cäsar Lutecia (Parisiorum), bei Strabon Λουκοτοκία (Lukotokía), bei Ptolemäus (Παρισίων) Λουκοτεκία (Lukotekía) heißt.
Anscheinend ist eine vorrömische gallische Besiedlung der Île de la Cité archäologisch nicht belegt, weshalb auch über andere Lokalisierungen für Lutecia spekuliert wird. Solange es aber keine anderweitige archäologische Evidenz gibt, bleibt die Île de la Cité der plausibelste Kandidat.
Gaius Julius Caesar, 100-44, römischer Politiker und
Heerführer, Asterix-Lesern nicht unbekannt:
Caes. Gall. 6,3,4: concilium Luteciam Parisiorum transfert.
er verlegte die Zusammenkunft nach Lutecia der Parisier.
Caes. Gall. 7,57,1: ... Luteciam proficiscitur. id es oppidum Parisiorum,
positum in insula fluminis Sequanae. ... brach er nach Lutecia auf. Das
ist eine Stadt der Parisier, auf einer Insel des Flusses Sequana gelegen.
Eroberung durch Cäsars Armee: Caes. Gall. 7,57-62.
Man beachte, dass es korrekt Lutecia heißt. Die
aus Asterix geläufige Schreibung Lutetia stammt
aus einer Zeit, als beides ungefähr [lu'tetsja] ausgesprochen wurde (vgl.
condicio vs. Kondition).
Strabon aus Amaseia in Pontos, ca. 64 v.-24 n.Chr.,
griechischer Historiker und Geograph:
Strab. 4,3,5 (= C.194 = A.297): περὶ δὲ τὸν Σηκοάναν ποταμόν εἰσι καὶ οἱ
Παρίσιοι, νῆσον ἔχοντες ἐν τῷ ποταμῷ καὶ πόλιν Λουκοτοκίαν. Am Fluß
Sequana sind auch die Parisier, die eine Insel im Fluß und die Stadt
Loukotokia haben.
(Text nach der Ausgabe von Gustav Kramer, Berlin 1844, einsehbar beim
Internet Archive.)
Claudius Ptolemäus, ca. 100-175, griechischer Mathematiker,
Geograph und Astronom:
Ptol. 2,8,13: ὑφ’ οὓς Παρίσιοι καὶ πόλις Παρισίων Λουκοτεκία unterhalb
von diesen [den Karnuten, d.h.: südlich von ihnen?] Parisier und die Stadt
Loukotekia der Parisier
(Text nach der Ausgabe von Karl Friedrich August Nobbe, Leipzig 1843, einsehbar beim
Internet Archive.)
Das 1905 (oder 1907) entdeckte Element mit der Ordnungszahl 71 wurde von seinem Entdecker, dem Pariser Georges Urbain, Lutecium getauft. (1949 wurde die Schreibung in Lutetium geändert.)
Zur Etymologie dieses Namens habe ich etliche Spekulationen gefunden, die alle davon ausgehen, dass der Name keltisch ist. Keine der Erklärungen ist aber so überzeugend, dass diese Annahme als bewiesen gelten darf.
Die Römer errichten auf dem linken (südl.) Seineufer (rive gauche) ein römisches Oppidum (im Bereich des Quartier Latin). Nord-Süd-Hauptverkehrsachse (cardo maximus) ist der Verlauf der Römerstraße von Orléans nach Soisson durch die Stadt, heute Rue Saint-Jacques/ Rue de la Cité. Parallel dazu verläuft die sog. untere Straße (via inferior, verballhornt zu rue d'enfer, einem alten Namen des südlichen Teils der Rue de la Harpe), heute Boulevard Saint-Michel/ Rue de la Harpe. Nur spärliche Überreste dieser Besiedlung sind heute noch zu sehen:
Die Seite Paris, ville antique und Leglay berichten überdies von weiteren Thermen beim Collège de France, sowie südlich des Forums an der Rue Gay-Lussac; einem Theater, ausgegraben in den Kellerräumen des Lycée Saint-Louis (Bd. Saint-Michel); Resten eines Aquädukts, der Wasser aus dem Süden brachte. Lokalisieren lässt sich noch das Forum, das sich auf dem Gipfel der Montagne Sainte-Geneviève befand (zwischen Bd. Saint-Michel und Rue Saint-Jacques, ungefähr auf Höhe der Rue Sufflot, unweit des Panthéon).
Die Widmungsinschrift auf dem Nautenpfeiler lautet (soweit ich auf der
Abb. bei Paris
Ville Antique erkennen konnte):
TIB CAESARE
AUG IOVI OPTUM|[O]
MAXSUMO
NAUTAE PARISIAC[I]
[P]UBLICE POSIER[U]|N[T]
Unter Kaiser Tiberius Caesar haben dem Besten Größten Jupiter die
Schiffsleute von Paris (diesen Pfeiler) öffentlich aufgestellt.
Viele Übersetzer fassen Caesare nicht als Abl., sondern als
unklassischen Dat.: Dem Tiberius Caesar Augustus (und) dem Besten
Größten Jupiter haben [...].
Die antiken Pariser leben von Fischfang und Handel. Die Flussschiffer (die nautae Parisiaci, die Stifter des Nautenpfeilers) sind es wohl auch, die Paris Wappen (ein Schiff mit geblähtem Segel) und Motto geben: Fluctuat nec mergitur. Sie schwankt, aber sie geht nicht unter.
Das Christentum kommt wohl um 250 mit Dionysius (franz. Denis), dem ersten Bischof von Paris, der zusammen mit zwei anderen Christen auf dem Montmartre enthauptet wird. Daher soll der höchste Hügel in Paris seinen Namen haben: mons martyrum Berg der Märtyrer. (Der Überlieferung nach wurde er dort begraben, wo sich heute die Kathedrale Saint-Denis erhebt.)
Ursprl. soll er mons Martis Berg des Mars oder mons Mercurii
Berg des Merkur geheißen haben, da auf dem Berg ein Tempel des Mars
und einer des Merkur gestanden haben soll.
Hilduin, Passio Sancti Dionysii, 36: in colle, qui antea mons Mercurii,
quoniam inibi idolum ipsius principaliter colebatur a Gallis, nunc vero
mons Martyrum vocatur. [So ungefähr; der Scan, auf den auch der Link
verweist, ist schwer lesbar.] auf dem Hügel, der vormals Berg des
Merkur [genannt wurde], weil dort ursprünglich ein Götzenbild von ihm
selbst von den Galliern verehrt wurde, jetzt aber Berg der Märtyrer genannt
wird.
(Text nach Migne, PL 106, Sp. 50, herunterladbar bei
Documenta
Catholica Omnia.)
Nach den Geschichtsbüchern wurde Paris 280 von Germanen zerstört. Quellen?
Während seines Feldzuges gegen die Germanen verbringt Julian Apostata mehrere Winter in Lutecia. 360 wird er dort von seiner Legion zum Kaiser ausgerufen. In den Texten aus dieser und über diese Zeit heißt die Stadt Lutecia, Luticia, Lutetia, Λευκετία (Leuketía) oder (erstmals bei Ammianus Marcellinus) Parisii, Παρίσιον (Parísion).
Das Itinerarium Antonini ist ein Verzeichnis von
Straßenverbindungen mit Entfernungsangaben, vermutl. aus dem 3. Jh. [der
Antonine im Titel wird üblicherweise mit Kaiser Caracalla identifiziert]:
Itin. Ant. 366,5f: Ab Augustoduno Luticia Parisiorum mpm CLXXXVII (Luticia:
v.l. Lutitia, Lutetia, Lutecia; mpm = milia plus minus) Augustodunum
(Autun) - Luticia der Parisier: ca. 187 Meilen
(Text nach der Ausgabe von Gustav Parthey und Moritz Pinder, Berlin 1848,
einsehbar bei
Internet Archive.)
Flavius Claudius Iulianus, genannt Apostata,
331-363, seit 360 römischer Kaiser. Μισοπώγων ("Barthasser") ist
eine Spottschrift auf die Bewohner von Antiochia, verfasst 362:
Iul. Misopogon 5: ἐτύγχανον ἐγὼ χειμάζων περὶ τὴν φίλην Λουτεκίαν·
ὀνομάζουσι δὲ οὕτως οἱ Κελτοὶ τῶν Παρισίων τὴν πολίχνην· ἔστι δὲ οὐ μεγάλη
νῆσος ἐγκειμένη τῷ ποταμῷ, καὶ αὐτὴν κύκλῳ πᾶσαν [τὸ] τεῖχος καταλαμβάνει,
ξύλιναι δὲ ἐπ’ αὐτὴν ἀμφοτέρωθεν εἰσάγουσι γέφυραι [..]
Ich überwinterte gerade bei [od. in] meinem lieben
Lutekia; so nennen die Kelten das Städtchen der Parisier. Es ist eine nicht
große Insel, im Fluß liegend, und eine Mauer umfasst sie ringsum zur Gänze.
Hölzerne Brücken führen zu ihr von beiden Seiten [..]
(Text nach der zweisprachigen Ausgabe von Friedhelm Müller, Stuttgart 1998,
teilweise einsehbar bei
Google Books.
Eine andere Ausgabe, deren Hrsg. nicht erkennbar wird [der griech. Text
beruht laut Vorrede auf der Ausg. von Spanheims, Leipzig 1696] und die bei
Google Books
heruntergeladen werden kann, hat Λευκετίαν, was mir plausibler erscheint als
die Konjektur bei Müller, die nur eine brave Gräzisierung das lat. Namens
ist.)
Ammianus Marcellinus aus Antiochia am Orontes, 330-395/400,
Offizier und Historiker (res gestae):
Amm. 17,2,4: hisque perfectis acturus hiemem revertit Parisios Caesar.
Und nachdem dies ausgeführt war, kehrte Caesar nach Paris zurück, um den
Winter zu verbringen.
Amm. 17,8,1: At Caesar hiemem apud Parisios agens [..] Aber Caesar, der
den Winter bei den Parisiern (bei Paris) verbrachte [..]
Amm. 20,4,11: placuit [..] per Parisios omnes transire er beschloss [..],
dass alle durch das Gebiet der Parisier (durch Paris) hindurchziehen
Ammianus nennt die Stadt "Parisii" (Gebiet der) Parisier
und konstruiert dieses Wort teils wie einen Völkernamen (apud), teils wie
einen Gebietsnamen (per) und teils wie einen Ortsnamen (Richtungsakk. ohne
Präp.). Nur an einer Stelle (15,11,3) spricht Ammianus von Lutetia.
(Text von The Latin Library.)
Auf der Tabula Peutingeriana, einer vermutl. auf das 4. Jh. zurückgehenden Straßenkarte, ist Paris unter dem Namen Luteci verzeichnet. (s.Abb.: weitere Orte in der Umgebung von Luteci sind Autricum (Chartres), Cenabo (Cenabum Aureliani = Orléans), Casaromago (Caesaromago = Beauvais), Aug. Suessorum (Augusta Suessionum = Soissons) und Aquis Segeste (??)). Die Parisi, die zwischen Veteribus (Castra Vetera = Birten) und Atuaca (Aduatuca Tungrorum = Tongern in Belgien) eingezeichnet sind, sind ziemlich disloziert. Unverzichtbarer Namensindex zur Tab. Peut.: www.mw-seite.de
Der Codex Theodosianus ist eine Gesetzessammlung, von
Theodosius II. 429 in Auftrag gegeben, 438 fertiggestellt. Im folgenden
werden die "Aktenvermerke" von drei Gesetzen, die von Valentinian
und Valens im Nov. und Dez. 365 erlassen wurden, zitiert:
Cod. Theod. 8,1,11: Dat. prid. id. Dec. Parisiis Valentiniano et Valente
AA. conss. Gegeben am 12. Dez. zu Paris unter dem Konsulat der beiden
Kaiser Valentinianus und Valens
Cod. Theod. 10.19.3: Dat. IIII id. Decemb. Parisis Valentiniano et Valente
AA. conss. Gegeben am 10. Dez. zu Paris unter dem Konsulat der beiden
Kaiser Valentinianus und Valens
Cod. Theod. 11.1.13: Dat. XV Kal. Nov. Parisis Gegeben am 18. Okt. zu
Paris
(Text von Buch 8 nach nach der Ausgabe von Theodor Mommsen und Paul Meyer,
Berlin 1905, einsehbar bei der
Uni Grenoble,
Buch 10
Uni Grenoble
und Buch 11
Uni Grenoble,
aus einer anderen [nicht genauer genannten] Quelle.)
Zosimus, byzantin. Historiker, schrieb Ende 5./ Anfang.
6. Jh. seine Historia Nea:
Zos. 3,9: Ἰουλιανοῦ δὲ ἐν τῷ Παρισίῳ (Γερμανίας δὲ αὕτη πολίχνη) διατρίβοντος
[..] Während Julianus sich in Paris (das ist ein Städtchen Germaniens)
aufhielt [..] (Der Nom. lautet wohl Παρίσιον.)
(Text nach der Ausgabe von Immanuel Bekker, Bonn 1837, einsehbar beim
Internet Archive.)
Für die im Wikipedia-Artikel Paris (Stand: 2. Januar 2010) geäußerte (und durch die zahllosen Wikipedia-Ableger im Netz allgegenwärtige) Behauptung, „die Stadt wurde im römischen Reich als Civitas Parisiorum oder Parisia bekannt“, konnte ich keinen Beleg finden. Am nächsten kommt dem noch die einmal bezeugte Parisea civitas.
Einleitung einer Bekenntnisschrift der Bischöfe Galliens aus dem Jahr 360,
überliefert im Werk des Hilarius von Poitiers, 315-367,
Bischof und Kirchenlehrer:
Hil. frag. Aqu. 11: Incipit fides catholica exposita apud Pariseam civitatem
ab episcopis Gallicanis ad orientales episcopos. Es beginnt das allgemeine
Glaubensbekenntnis, dargelegt bei der parisischen Stadt von den Bischöfen in
Gallien, an die Bischöfe des Ostens.
(Mir war nur der Text von Migne, PL 10, Sp. 710 zugänglich, wo er als Fragment
11 der Fragmenta Ex Libro Provinciae Aquitaniae gezählt wird, einsehbar bei
Documenta
Catholica Omnia. PL schreibt Fariseam [Parisiam in der
Fußnote]; Déal zitiert es als Pharisea civitas; das HLL 5 (1989)
§ 581.12 [einsehbar bei Google
Books] schreibt Pariseam [die Stellenangabe lautet Hil. coll.
antiar. A 1]; Gröhler schreibt Parisiam.)
Als 451 die Hunnen in Gallien einfallen und Metz, Reims, Amiens und Beauvais brandschatzen, fordert die Nonne Genoveva (od. Genovefa, franz. Geneviève) die Frauen von Paris auf, mit ihr zusammen für die Rettung zu beten. Und tatsächlich ziehen die Hunnen an Paris vorbei, um bald darauf in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern besiegt zu werden. So wird Genoveva zur zweiten Schutzheiligen von Paris (neben dem Hl. Dionysius).
Seit den 60er-Jahren errichten der Heermeister (magister militum) Aegidius und dann sein Sohn Syagrius zwischen Loire und Somme ein gallo-römisches Reich, das auch nach dem Untergang des Weströmischen Reiches 476 weiterbesteht. 486 besiegt der Frankenkönig Chlodwig den Syagrius bei Soissons. Paris gehört nun zum Frankenreich, die Zeit des römischen Gallien ist vorbei, das Mittelalter beginnt.
Gregor von Tours (538-594), Bischof von Tours nennt in seinen Decem libri historiarum (auch Historia Francorum genannt) die Stadt Parisius (undekl.): Parisius venit er kam nach Paris, raro Parisius visitans selten Paris besuchend, circa Parisius um Paris herum, Parisius abiit er ging aus Paris weg, und vor allem: apud Parisius in Paris. Ab dem 4. Buch zunehmend auch urbs Parisiaca: in urbe Parisiaca, apud urbem Parisiacam in der parisischen Stadt, ad urbem Parisiacam zur parisischen Stadt usw.
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Letzte Aktualisierung: 22. Mai 2016