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In memoriam Tilmann Knopf (* 2. Juni 1963 in Baden-Baden, † 2. Februar 2024 in Salzburg), langjähriger Pfarrer an der evangelischen Christuskirche in Salzburg. Für uns viel zu früh wurde er im Alter von 60 Jahren mitten aus dem Leben gerissen. Wir wissen ihn in der Hand unseres Herrn, der die Auferstehung und das Leben ist. (Gedenkseite Bestattung Jung)

Selbstwachsende Saat und Senfkorn


Beim letzten Hauskreistreffen haben wir den Predigttext, der in der aktuellen Perikopenreihe für den Sonntag Sexagesimae („des sechzigsten“, näml. Tages vor Ostern) vorgeschlagen war, gelesen und besprochen, das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29); und wir haben das darauffolgende Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32) noch mitgenommen. Hier eine kurze Zusammenfassung meiner exegetischen Vorbereitung.

Es geht in beiden Gleichnissen um das Reich Gottes. Wir haben zunächst besprochen, was wir glauben, uns vorstellen oder wünschen, was/wie Gottes Reich (gr. βασιλεία „(Königs-)Herrschaft, Herrschaftsbereich“, engl. “kingdom”) sein wird, um dessen Kommen wir im Vaterunser beten. Es ist unklar, wie irdisch man sich dieses Reich vorstellen darf/soll. Ein gerechter Herrscher aus der Davidsdynastie allein wird es wohl nicht sein. Es braucht dafür sicher die Unverweslichkeit (1Kor 15,42-44) bzw. eine Neuschöpfung (Offb 21,1-5). Wenn Paulus in Röm 14,17 sagt, „denn das Reich Gottes ist nicht Speise und Trank, sondern Gerechtigkeit und Frieden und Freude im heiligen Geist“, dann scheint klar, dass es nicht um die Fortsetzung irdischer Verhältnisse mit einigen Detailverbesserungen, sondern um einen grundlegenden Wandel geht.

Jülicher hat (als einer der ersten?) die seit der Väterzeit grassierende Allegorese (d.h. dass man jedem Zug der Gleichnisse einen realweltlichen Sachverhalt zuordnet) abgewiesen und sich, wie er selbst sagt, bei jedem Gleichnis „bemüht festzustellen, wie der überliefernde Evangelist es verstand“ (S. iii). Jeremias geht einen Schritt weiter und versucht, die Gleichnistexte von redaktionellen Veränderungen und kirchlicher Umdeutung freizumachen und so zur ipsissima vox Iesu zurückzukehren. Doch sind die Ergebnisse dieses Verfahrens, bei aller Plausiblität im einzelnen, doch sehr hypothetisch.

Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29)

26 Und er sagte: So ist das Reich Gottes, wie wenn ein Mensch den Samen auf die Erde wirft 27 und schläft und aufwacht, Nacht und Tag, und der Same sprießt und lang wird (d.h. emporwächst), wie, weiß er selbst nicht. 28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst Gras (oder Halm), dann Ähre, dann vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn es die Frucht erlaubt, schickt er sogleich die Sichel, weil die Erntezeit da ist.

Sprachliches

Auslegung

Dieses Gleichnis gehört zum markinischen Sondergut. Es gibt keine Parallelen bei Mt oder Lk.

Das Reich Gottes lässt sich weder durch den radikalen Gesetzesgehorsam der Pharisäer herbeizwingen, noch durch die revolutionäre Gewalt der Zeloten herbeiführen (Stuttgarter Erklärungsbibel). Das Reich Gottes wächst, wenn auch uns manchmal zu langsam, so doch stetig, unaufhaltsam. Der Bauer im Gleichnis sät (und wahrscheinlich pflügt er auch), aber dann kann er nur seiner täglichen Beschäftigung nachgehen und monatelang geduldig warten, dass die Saat aufgeht und wächst. Es hilft nichts, an den Halmen zu ziehen. Er muss sich darauf verlassen, dass die Erde automátē „von selbst, automatisch“ Frucht hervorbringt. Das ist kein Aufruf zu Untätigkeit, sondern zu Glauben und Geduld. Jülichers Fazit: „Die keines Nachhelfens bedürftige Sicherheit der Weiterentwicklung scheint mir das tert. comp. zwischen der Bildhälfte Mc 4 26ff. und dem Gottesreich zu sein; […] Die Allmählichkeit, die Langsamkeit (?) des Wachstums zu konstatieren, hat dem Erzähler nirgend angelegen“ (S. 544). Jeramias: „so sicher wie für den Landmann nach langem Warten die Ernte kommt, so sicher bringt Gott, wenn Seine Stunde gekommen ist, wenn das eschatologische Maß erfüllt ist, Endgericht und Königsherrschaft herbei. Menschen können nichts dazu tun, sie können nur warten […]“ (S. 132)

Die Ernte ist häufig Bild für das Gericht (vgl. Joel 4,13a; Offb 14,15), hier liegt das Augenmerk aber wohl in erster Linie auf dem schlussendlichen Erfolg und dem Einsammeln der Frucht. Dabei wird man vielleicht an die Wiederkunft Christi denken dürfen; Jülicher: „die Ernte [war für Mk] der selige Tag, wo wir eingehen in unsers Herrn Freude“ (S. 545).


Gleichnis vom Senfkorn (Mk 4,30-32)

30 Und er sagte: Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen, oder in welchem Gleichnis sollen wir es hinstellen? 31 Wie (mit) einem Senfkorn, welches, obwohl es, wenn es gesät wird auf die Erde, kleiner ist als alle Samen auf der Erde, 32 und wenn es gesät wurde, geht es auf und wird größer als alle Gartengewächse und macht große Zweige, sodass sich unter seinem Schatten die Vögel des Himmels niederlassen können.

Sprachliches

Sachliches


Blühender Senfstrauch (Brassica nigra) an der Saar in Saarbrücken.– Quelle: Wikimedia.– Urheber: AnRo0002, 2012.– Lizenz: CC0 1.0 Deed.– Bearbeitung: geringfügig beschnitten, aufgehellt, verkleinert, geschärft.

Ausleger sind sich darüber einig, dass Jesus hier vom Schwarzen Senf Brassica nigra spricht, einer einjährigen krautigen Pflanze, die gelb blüht, die schmale spitze Schoten ausbildet, in denen die Körner sitzen, und die Wuchshöhen von 2,5 bis 3 m erreicht. Die Bezeichnung des Senfstrauchs als δένδρον „Baum“ in den Parallelstellen (Mt 13,31f, Lk 13,18-19) ist eine leichte Übertreibung. Brassica nigra ist einjährig, muss also jedes Jahr neu gesät werden. Die Senfkörner sind braun bis braunschwarz und stecknadelkopfgroß.

Instruktive Fotos hat die Webseite von David Q. Hall:

Eine Bildersuche im Internet fördert auch Bilder eines wirklichen Baumes zutage, nämlich des Zahnbürstenbaumes Salvadora persica. Mitte des 19. Jh. hatte Royle vorgeschlagen, dass dies die Senfpflanze sei, von der Jesus im Gleichnis spricht. Die Ausleger waren sich aber bald einig, dass diese Pflanze nicht gemeint sein kann (etwa Jülicher S. 575f, die Argumente im einzelnen bei Post). Doch die Gleichsetzung und die Fotos dazu sind nicht totzukriegen.

Bei Mk wird das Senfkorn auf die Erde gesät, bei Mt auf den Acker, bei Lk in den Garten. Jülicher hatte die Version des Lk noch für die ursprünglichste gehalten (S. 572f). Doch haben Strack/Billerbeck aufgezeigt (Bd. 1, S. 669), dass es nach der Mischna im Talmudtraktat Kilʾajim („zweierlei“, Ausführungsbestimmungen zu Lev 19,19 „dein Feld sollst du nicht mit zweierlei [Saat] besäen“) verboten ist, Senf (hebr. חַרְדָּל) auf ein Gartenbeet zu säen, weil er eine Feldsaat ist (Kil 3,2). Lk hat hier offenbar griechische, nicht palästinische Verhältnisse vor Augen.

Auslegung

Dieses Gleichnis haben auch Mt 13,31f; Lk 13,18f. Auch Lk beginnt das Gleichnis mit einer doppelten Frage (ebenso Lk 7,31). Es ist also nicht notwendig, mit Lohmeyer von ursprünglich zwei Gleichnissen auszugehen, wenngleich man zugeben muss, dass sich Mk hier mehr als eine kleine syntaktische Unstimmigkeit zuschulden kommen lässt.

Das tertium comparationis dieses Gleichnisses ist nach Jülicher „der merkwürdige Gegensatz […] zwischen dem winzigen Körnlein, das man säte, und dem über mannshohen Strauch, der daraus erwuchs“ (S. 576). Die Anfänge des Gottesreiches (etwa in Gestalt des Wirkens Jesu) mögen klein und unbedeutend erscheinen, aber am Ende wird es durchaus ansehnlich sein; Jeremias: „aus den kümmerlichsten Anfängen, aus einem Nichts für menschliche Augen schafft Gott seine Königsherrschaft.“ (S. 130).

Vorsichtig sollte man sein mit der Antwort auf die Frage, wer die Vögel des Himmels, die im Senfstrauch „nisten“, sein könnten. Denn diese sind zunächst einfach ein atl. Bild für die Größe eines Baumes und den Schutz, den er dadurch Tieren bietet (z.B. Hes 17,23; 31,6; Ps 104,12; Dan 4,8f. 11. 17f). Die Stuttgarter Erklärungsbibel meint, dass hier an die nichtjüdischen Völker gedacht ist, sprich: die Kirche aus den Heiden.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 10. Feb. 2024