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Kinder des Teufels


Es gibt eine Qualität des Bösen, die sich letztlich nicht mehr erklären läßt: die bürokratisch organisierte Vernichtung von Juden im Dritten Reich; der rauschhafte Haß, mit dem die Tutsis in Rwanda innerhalb weniger Tage eine Million Hutus massakriert haben; das Leiden der Opfer des Genozids im Südsudan; das namenlose Leid der Kindersoldaten in Angola; und, und, und. Mir kommt die Galle hoch, wenn dann ein paar satte Eierköpfe vom "Sogenannten Bösen" schwadronieren und damit auf dem Rücken der Opfer ihr intellektuelles Niveau und ihre weltanschauliche Abgeklärtheit demonstrieren wollen.

Wieso können Menschen Raketen Richtung Israel schießen, in der Hoffung, möglichst viele unschuldige Zivilisten in den Tod zu reißen, und sich dann noch "Partei Gottes" (Hisb-ollah) nennen? Wieso können fast täglich Selbstmordattentäter im Irak Dutzende Menschen (vielfach Kinder) töten und sich dabei für Märtyrer halten, also für Menschen, die um ihres Glaubens willen sterben und die dafür von Gott belohnt werden? Wer hat ihnen solchen Unsinn eingeredet? Wieso konnten Christen im Mittelalter glauben, Muslime zu massakrieren, sei ein gottwohlgefälliges Werk? Wie kann man auf diese Ideen kommen?

Jesus führt in Joh 8,12-59 erneut eine Auseinandersetzung mit den Pharisäern (V.13) und "den Juden" (22.31.48.52.57). Bei letzteren handelt es sich wohl um die religiösen Autoritäten im Gegensatz zum "Volk, das das Gesetz nicht versteht" (Joh 7,10-13. 45-49). (In der Bezeichnung "die Juden" für die Gegner Jesu zeichnet sich schon die Auseinandersetzung zwischen Judentum und Christentum gegen Ende des 1. Jh. ab.) Dabei wirft Jesus seinen Gegner vor:

Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und was euer Vater begehrt (wörtl. die Begierden eures Vaters), wollt ihr tun. Jener war ein Mörder von Anfang an, und er steht nicht in der Wahrheit, denn Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, redet er aus dem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr (d.h. der Lüge) Vater. (Joh 8,44).

Nun spricht Jesus hier zu Pfarrern, Bischöfen und Theologieprofessoren. Menschen, deren Beruf das Studium der heiligen Schriften, die Frömmigkeit und ein gottwohlgefälliges Leben sind, wirft Jesus vor, sie seien Kinder des Teufels und wollten tun, wonach es den Teufel verlangt: morden und lügen. Läßt sich Jesus hier zu einer platten Verunglimpfung von Menschen, die nicht an ihn glauben, hinreißen? Hat die Kirche, nachdem sich das offizielle Judentum zunehmend von den Christen distanziert hatte, Jesus zum Antisemiten stilisiert?

Die Stuttgarter Erklärungsbibel merkt dazu an:

Des Teufels Art ist es, daß er die Nähe Gottes und seine heilschaffende Wirklichkeit meidet (steht nicht in der Wahrheit), weil er im Innersten von dieser Wirklichkeit geschieden ist (die Wahrheit ist nicht in ihm). Sein Gelüste [so hatte Luther in V.44 übersetzt] geht darauf, diese Wirklichkeit zu verstellen und zu verneinen (Lüge) und so die Menschen ums Leben zu bringen. [...] Jesu Gegner stehen im Begriff, zu Artgenossen und ausführenden Organen des Teufels zu werden (V.37.40).

Es ist schon eine besondere Tragik, daß Menschen, die für sich eine besondere Nähe zu Gott reklamieren (V.41: wir haben einen Vater, Gott), von Gottes Wirklichkeit so weit weg sind, daß sie dem Teufel in die Hände spielen. Die Gründe mögen im einzelnen ganz unterschiedlich sein: intellektueller Snobismus (7,48f), Angst um die eigene Position (die von Jesus verkündete Gottesbeziehung machte Kult und Priesterschaft weitgehend überflüssig), sture Rechtgläubigkeit (7,27.52), der auch die Wirklichkeit nichts anzuhaben vermag (9,30-34).

Man kann komplizierte Analysen führen, wie Fanatismus und Haß entstehen. Aber erklären sie wirklich, woher diese Schwerkraft kommt, die uns so leicht nach unten zieht? Man schlage eine beliebige Tageszeitung auf und lese von der Korruption und hemmungslosen Gier der Herrschenden und Mächtigen; von wachsender Armut und Tausenden verhungerter Kinder täglich; von Mord und Totschlag allerorten. Und dann erzähle man mir, daß der Mensch im Grunde gut sei und daß es mittelalterlich ist, an die Existenz eines leibhaftigen Teufels zu glauben.

Der Glaube an den Teufel ist kein unverzichtbarer Bestandteil des christlichen Glaubens (der Teufel kommt im Glaubensbekenntnis nicht vor). Aber Jesus glaubte offenbar an seine Existenz und hat seine Mordlust auch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Wir tun gut daran, uns nicht allzu sicher und gefeit vor seinen Anläufen zu fühlen.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 29. Mai 2016