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Der alttestamentliche Gottesname


Das Folgende ist keine Auseinandersetzung mit Jehovas Zeugen, die aus Gründen, die nichts mit der Frage an sich zu tun haben, an ihrer Version des Gottesnamens festhalten müssen. Mir ging es in erster Linie darum, die Quellen zu diesem Thema in halbwegs allgemeinverständlicher Form zusammenzutragen.

Ausgangspunkt meiner Recherchen waren:

Der masoretische Text

Die jüdischen Schriftgelehrten des Mittelalters, die Masoreten, wagten nicht, den überlieferten Konsonantentext zu ändern. Wenn sie anzeigen wollten, daß man korrekterweise etwas anderes lesen muß, als im Konsonantentext steht, so setzen sie zu dem überlieferten Text (aram. כְּתִיב ketiv „das Geschriebene“) die Vokale des Wortes, das stattdessen gelesen werden sollte (aram. קְרֵי qere „das zu Lesende“) und schrieben dessen Konsonanten an den Rand.

Bei einigen häufig vorkommenden Wörtern verzichteten die Masoreten auf die Fleißaufgabe, jedesmal die Konsonanten des qeere an den Rand zu schreiben (sog. qere perpetuum) – z.B. beim Namen der Stadt Jerusalem oder beim Gottesnamen, der aus den vier Konsonanten יהוה JHWH besteht und daher Tetragramm(aton), dt. etwa „Vierbuchstabenwort“, genannt wird.

Aus Angst davor, den Namen Gottes zu entweihen, haben die Juden ihn überhaupt nicht mehr ausgesprochen. Auch bei der gottesdienstlichen Lesung alttestamentlicher Texte sollte statt des Gottesnamens das Wort Adonaj „Herr“ verwendet werden. Daher schrieben die Masoreten zum Tetragramm die Vokale von אֲדֹנָי Adonaj, stand es bereits neben Adonaj, so die von אֱלֹהִים Elohim „Gott“.

Adonaj besteht im Hebr. aus den Konsonanten Alef-D-N-J. Alef wird auch im Dt. beim vokalischen Anlaut als Stimmritzenknacklaut und im Wortinneren bei Wörtern wie beʾarbeiten, verʾeisen (aber: verreisen) gesprochen, aber nicht als eigener Buchstabe geschrieben. Die Vokale sind Schwa-O-A. Schwa ist ein ganz kurzer Vokal von nicht genau bestimmbarer Klangfarbe, vergleichbar dem E in engl. the „der, die, das“ oder frz. je „ich“ (in der Praxis also irgendwo zwischen E und Ö). Steht ein Schwa nach einem Kehllaut (wozu auch das Alef zählt), setzten die Masoreten ein weiteres Zeichen hinzu, das die Klangfarbe näher bezeichnet (sog. Schwa compositum, auch Ḥatef-Vokal genannt). Bei Adonaj ist dies ein A (ʾadonaj), bei Elohim ein offenes E (ʾælohim). Bei der Vokalisierung des Gottesnamens mit den Vokalen von Adonaj wurde beim Schwa auf dieses Zusatzzeichen verzichtet, bei der Vokalisierung mit den Vokalen von Elohim zumeist nicht.

Westliche Gelehrte des ausgehenden Mittelalters haben nun in Unkenntnis des qere perpetuum das gelesen, was dort scheinbar geschrieben stand: jehowa. Das zweite H ist hierbei ein Vokalbuchstabe, d.h. er „stützt“ den vorhergehenden Vokal, bleibt aber selbst stumm (ganz wie im Dt. das stumme H).

ʾ a D o N a J
J e H o W a H

Dabei hätte eigentlich der Umstand Verdacht erregen müssen, daß das Tetragramm neben Adonaj anders vokalisiert ist: jæhowih (Vokale von Elohim). H kann nicht als Vokalbuchstabe für I stehen. Für eine konsonantische Aussprache am Wortende sollte das H aber einen diakritischen Punkt (mappiq) haben. Vokalisation und Konsontantentext passen hier offenbar nicht zusammen.

Weiters auffallend ist der Umstand, daß die Konsonanten B G D K P T nach dem Tetragramm einen diakritischen Punkt haben (dageš lene), der nicht-spirantische Aussprache bezeichnet, so als würde der Gottesname auf einen Konsonanten enden. Jehowa endet jedoch auf einen Vokal, Adonaj hingegen (nach masoretischem Verständnis) auf einen Konsonanten: יְהוָה ֵינִי JHWH BeNi (Gen 16,5), aber z.B. וְהָיְתָה בְרִיתִי WeHaJeTa VeRiTi (Gen 17,13).

Daß der Gottesname kaum Jehowa gelautet haben kann, zeigen auch einige Kurzformen des Namens (vor allem in Eigennamen), besonders jahu (jirmejahu = Jeremia) und ja(h) (ʾelijja = Elia, halelu jah „preist Jah“).

Die aktuelle wissenschaftliche Textausgabe des AT, die Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS), die auf dem Codex Leningradensis beruht, vokalisiert immer ohne O, also Schwa-A bzw. Schwa-I (יְחוָה bzw. יְחוִה). Die BHS hat auch nach Adonaj zumeist ein einfaches Schwa (z.B. Amos 7,1; Ausnahmen: Gen 15,2.8 יֱהוִה). Man kann vielfach lesen, die Vokalisation Schwa-A sei von dem aram. שְׁמָא šema „der Name“ genommen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß durch diese Vokalisation das Tetragramm unaussprechbar gemacht werden soll. Bemerkenswert ist die Form des Tetragramms in Ps 144,15 mit Schwa compositum שֶׁיֲהוָה.

Mögliche vorisraelitische Belege

Amuntempel von Soleb

Im Amuntempel des Amenhotep III. (14. Jh.) von Soleb (heute im Sudan) finden sich auf den Säulenbasen Darstellungen von gefesselten Kriegsgefangenen, die die vom Pharao besiegten Völker symbolisieren. Auf Namenskartuschen, die ihren Unterkörper teilweise verdecken, ist ihre Herkunft angegeben.

Auf der Homepage des Orientalischen Instituts der Universität von Chicago gibt es einige Abbildungen:  P 3242,  P 3243,  P 3244,  P 3245,  P 3246. Das hier interessierende Exemplar ist leider nicht dabei. Alles was ich finden konnte, war die Kopie einer Rekonstruktion in:  Egyptian Hieroglyph with the Tetragrammaton.

In der Kartusche steht:

tꜣ šꜣśw jhwꜣ[w]Land der Beduinen des/von JHWꜢ[W]“ (?)
Im Ägypt. werden wie im Hebr. nur Konsonanten geschrieben. Der in der Transkription mit ꜣ wiedergegebene Laut wird traditionellerweise als Alef aufgefaßt.
Das letzte Zeichen ist etwa zur Hälfte zerstört. Es sieht am ehesten wie G43 (w) aus, könnte aber evt. auch G1 (ꜣ) sein (dann wäre es eine plene Schreibung für das in wꜣ enthaltene ꜣ).
Die Gleichsetzung mit dem alttestamentlichen JHWH ist umstritten, vielleicht ist es ein Ortsname.

Ugaritische Keilschrifttafeln

In den ugaritischen Keilschrifttafeln (14./13. Jh.) gibt es in der Erzählung von Baal und Jam eine Stelle, in der Gott El („Gott“) zu der Göttin Elat („Göttin“) über seinen Sohn Jam („Meer“) spricht (CTA 1,iv,13ff):

13 wjʿn.lṭpn.il.dp[id] und es erwiderte ? El, der ?:
14 šm.bnj.jw.ilt[.w Der Name meines Sohnes ist JW, Elat, [und
15 wpʿr.šm.jm[ und verkündige den Namen Jams
Elat scheint im folgenden zu sagen, daß dies eine Aufgabe ist, die El selbst erledigen muß. Daher sagt er dann:
19 [...].pʿrt[ [...] ich verkündige hiermit
20 šmk.mdd.i[l deinen Namen „Liebling des El“
Das Ugarit. hat drei verschiedene Formen des Alef, je nachdem, ob a, i (e) oder u (o) folgt. Aus typographischen Gründen habe ich es einfach mit dem entsprechenden Vokal wiedergegeben.
13 Gibbson übersetzt den stehenden Beinamen Els mit „Latipan kindly god“.
ʿnh bedeutet im Hebr. „antworten, erhören“, im Ugarit. vielleicht allgemeiner „anheben, zu reden beginnen, sagen“.
15 pʿr heißt im Hebr. „(den Mund) aufsperren“. Da die Verse unvollständig sind, ist die Form nicht klar; ich habe mit Gibbson als Imperativ übersetzt, es könnte aber auch Perf. sein.
19 Gibbson übersetzt „I have proclaimed“, ich fasse das Perf. hier performativ.

Eine englische Übersetzung des ganzen erhaltenen Textes findet sich auf der Seite  The Battle of Baal and Yahm. Allerdings scheint dies eine Harmonie verschiedener englischer Übersetzungen samt deren Rekonstruktionsversuchen zu sein. Jedenfalls hat die Seite mehr englischen Text als ich ugaritschen.

Der Herausgeber John Gibbson (Canaanite myths and legends, Edinburgh:Clark, 21978) deutet dies so (S.4): Der Eigenname des Meeresgottes ist JW. Er bekommt vom Göttervater El einen neuen Namen (und damit einen neuen Rang in der Götterhierarchie). Gibbson vokalisiert den Namen mit Jaw, erklärt den Anklang an die Kurzform des alttestamentlichen Gottesnamens aber für zufällig. Er setzt ihn vielmehr gleich mit der bei Eusebius von Cäsarea (3./4. Jh.) genannten Gottheit Ieuo (Praep(aratio) ev(angelica) 1,9,21):

Ἱστορεῖ δὲ τὰ περὶ Ἰουδαίων ἀληθέστατα, ὅτι καὶ τοῖς τόποις καὶ τοῖς ὀνόμασιν αὐτῶν τὰ συμφωνότατα, Σαγχουνιάθων ὁ Βηρύτιος, εἰληφὼς τὰ ὑπομνήματα παρὰ Ἱερομβάλου τοῦ ἱερέως θεοῦ τοῦ Ἰευώ. Über die Angelegenheiten der Juden berichtet am wahrsten, weil am meisten in Übereinstimmung mit ihren Orten und Namen, Sanchuniathon aus Berytos, der die Aufzeichnungen von Hierombalos [=Jerubbaal?], dem Priester des Gottes Ieuo, bekommen hat.

Griech. Text nach der Ausgabe von Wilhelm Dindorf, Leipzig:Teubner, 1867. Der Text kann als PDF-Dateien von  Christian Hospitality heruntergeladen werden, z.B.  Buch 1.

Nach praep.ev.1,10,35 war der Hauptgott von Berytos Poseidon (d.h. der Meeresgott), deshalb hält Gibbson JW für die lokale Variante von Jam im antiken Beirut.

Außerbiblische Belege

Mešastele

In der berühmten Basaltstele, die als Mešastele oder Moabiterstein bekannt ist, rühmt sich der moabitische Herrscher Meša seiner Befreiung von Israel (Mitte 9. Jh.). Unter anderem hat er dabei Nebo erobert:

Die Uni Essen bietet eine  Zeichnung der Inschrift, bei der man den Text auch lesen kann. Die englischsprachige Wikipedia bietet den vollständigen  moabitischen Text in hebräischen Lettern. Da wo ich die Inschrift nicht lesen konnte, habe ich mich am Wikipediatext orientiert.

14 ויאמר לי כמש לך אחז את נבה על ישראל | וא Und Kemosch sagte zu mir: Geh, nimm Nebo ein gegen Israel. | Und ich
15 הלך בללה ואלתחם בה מבקע השחרת עד הצהרם | ואח ging in der Nacht und kämpfte gegen es von Anbruch der Morgenröte bis zum Mittag. | Und ich
16 זה ואהרג כלה שבעת אלפן גברן ו[גר]ן | וגברת וגר nahm es ein und tötete seine Gesamtheit: siebentausend Männer und Fremdlinge | und Frauen und weibliche Fremd-
17 ת ורחמת | כי לעשתר כמש החרמתה | ואקח משם א[ת כ] linge und Sklavinnen. | Denn dem Aschtar Kemosch habe ich es (zur Vernichtung) geweiht. | Und ich nahm von dort die Ge-
18 לי יהוה ואסחב הם לפני כמש räte JHWHs und schleppte sie vor das Angesicht Kemoschs.
14 Nebo (AT נְבוֹ) war eine Stadt im Stamm Ruben (vgl. Num 32,2).
15 Der Wikipediatext hat הללה, aber die oben genannte Abbildung zeigt deutlich ein ב als ersten Buchstaben.
אלתחם ist Hitpael von לחם mit Umstellung des ת (wie sie im Hebr. nur bei mit S anlautenden Verben üblich ist).
16 Der Mask. Pl. endet auf ן.


Das Tetragramm in moabitischen Lettern

BJT-JHWH-Ostraka

Eine Tonscherbe unklarer Herkunft und nur ungefähr bestimmbarer Zeit (zw. dem 9. und 7. Jh.) aus der Sammlung von Shlomo Moussaieff erwähnt „das Haus JHWHs“. Ob wirklich der Salomonische Tempel in Jerusalem gemeint ist, kann nicht sicher gesagt werden. Die Echtheit der Inschrift wird von einigen Fachleuten aus paläographischen Gründen bezweifelt.

House of Yahweh hat die meines Erachtens  lesbarste Abbildung (S/W). Die Biblical Archaeology Society (BAS) hat eine  fast ebenbürtige Abbildung (Farbe) samt einer Diskussion der Echtheitsfrage. K. C. Hanson's HomePage bietet den  Text in Transkription (allerdings werden Tsade und Samech unterschiedslos mit S wiedergegeben) und eine englische Übersetzung. Eine etwas besser verständliche  englische Übersetzung findet man bei The Name Yahweh (etwa am Beginn des unteren Drittels der Seite); die Transkription gibt auch noch Šin mit S wieder.

1 כאשר צוך.אשי wie dir befohlen hat Aschja-
2 הו.המלך.לתת.ביד hu, der König, zu geben durch die Hand
3 [ז]כריהו.כסף תר Secharjahus Silber aus Tar-
4 שש.לבית יהוה schisch für das Haus JHWHs
5 ש /// 3 Schekel
1/2 אשיהו = יְהוֹאָשׁ (König von Juda 2Kön 12,1, König von Israel 2Kön 13,1) mit Postposition des theophoren Elements? Oder verkürzt aus יֹאשִׁיָּהוּ (König von Juda 2Kön 22,1)? Diskussion dieser Frage im oben zitierten BAS-Artikel.

Eine  weitere BJT-JHWH-Inschrift (die bisher in ihrer Echtheit anscheinend nicht angezweifelt wurde) findet sich auf einem Ostrakon aus Arad (6. Jh.). Dort steht: ולדבר אשׁר צותני שׁלם בית יהוה הא ישׁב. Da nicht klar ist, wie die Satzgrenzen anzusetzen sind, ist eine Übersetzung nur vermutungsweise möglich: „Und hinsichtlich der Sache, die du mir aufgetragen hast, (da) sei beruhigt. Er sitzt im Hause JHWHs.“ Zu der Übers. von שׁלם vgl. 2Kön 4,23. Zu בית als Ortsangabe vgl. Num 30,11; syntaktisch wäre es naheliegender, בית als Subj. aufzufassen, aber was soll dann ישׁב heißen? „Das Haus JHWHs bleibt bestehen“?

Lachischbriefe

In den Ostraka aus Lachisch (frühes 6. Jh.) wird der Gottesname in Segens- und Schwurformeln verwendet („möge JHWH...“, „so wahr JHWH lebt“). Als Beispiel soll hier das Ostrakon Nr. 3 dienen.

Weil es das einzige ist, wovon ich einen Text habe: K. C. Hanson's HomePage bietet den  Text in Transkription mit einer engl. Übersetzung. Die Abbildungen im Web (am besten noch in der  Zusammenstellung der wichtigsten Ostraka mit einer engl. Übersetzung und einer Diskussion des Inhalts bei Nabataea.net) sind für mich allesamt unlesbar. Der Vergleich der beiden Übersetzungen zeigt übrigens, wie groß offenbar die Unsicherheiten hinsichtlich des Textverständnisses sind.

1 ʿBDK.HWŠʿYHW.ŠLḤ.L Dein Knecht Hoschajahu hat (diesen Brief?) gesandt, um
2 [H]G[D] L[ʾD]NY [Yʾ]WŠ.YŠMʿ meinem Herrn Jaosch zu [?]. Möge hören lassen
3 YHW[H ʾ]T ʾDNY ŠMʿT.ŠLM JHWH meinen Herrn Kunde von Frieden.
9 [...] ḤYHWH.ʾM.NSH.ʾ [...] So wahr JHWH lebt, niemals hat jemand versucht,
10 YŠ LQRʾ LY SPR LNṢḤ [...] mir einen Brief vorzulesen. [...]

Die Frage ist: was heißt QRʾ SPR? „Einen Schreiber (סֹפֵר) herbeirufen“ (K.C.Hanson) oder „einen Brief (סֵפֶר) vorlesen“ (Nabataea.net)? Geht es um den Vorwurf, Hoschajahu sei Analphabet oder er habe Briefe gelesen, die ihn nichts angehen?

Eine etwas seltsame Segensformel wurde offenbar auf  Ostraka aus Kuntillet Ajrud am Sinai gefunden (9./8. Jh.): hier ist die Rede von „JHWH und seiner Ašera“, was die Frage aufgeworfen hat, was eine Ašera genau ist: Eine weibliche Gottheit? Ein Kultobjekt?

Bemerkenswert erscheint mir auch der BAS-Artikel über ein  Siegel mit dem Gottesnamen zu sein (8. Jh.). Der Abdruck des Siegels zeigt relativ gut lesbar: למקניו [ל]עבד יהוה „dem Miqnejaw (gehörig) [dem] Knecht JHWHs“. Zum Namen Miqnejaw vgl. 1Chr 15,18.21 (Miqnejahu).

Aramäische Papyri aus Elephantine

Auf der Nilinsel Elephantine gab es eine jüdische Militärkolonie. Von ihr sind einige Briefe und Verträge in aram. Sprache (5. Jh.) auf uns gekommen. Das für uns interessanteste Dokument (TAD 4,7) ist ein Brief des Priesters Jedanja an den Statthalter von Juda, Bagoas. Darin berichtet er von der Zerstörung des JHWH-Tempels durch Ägypter und bittet um die Erlaubnis, den Tempel wiedererrichten zu dürfen (407 v.Chr.).

Die Bible-Resource-Site Kata Pi hat eine  Abbildung der zweiten Seite, allerdings in geringer Auflösung, sodaß ich nur wenige Wörter verifizieren konnte. Das  Comprehensive Aramaic Lexicon des Hebrew Union College bietet den  Text samt lexikalischer Analyse. Auf K. C. Hanson's HomePage gibt es den  Text in Transkription mit einer englischen Übersetzung. Da ich des Aram. nicht wirklich mächtig bin, ist meine Übersetzung nur als Näherungswert zu verstehen.

4 כען עבדך ידניה וכנותה כן אמרן בירח תמוז שנת 10־3־1 דריוהוש מלכא כזי ארשם Nun sprechen dein Knecht Jedanja und seine Genossen so: Im Monat Tammuz im 14. Jahr des Königs Darius, als Arsames
5 נפק ואזל על מלכא כמריא זי חנוב ^אלהא^ זי ביב בירתא המונית עם וידרנג זי פרתרך תנה herausging und zum König ging, (sprachen) die Priester des Gottes Chnum, der in der Burg von Elephantine ist, zusammen mit Widranga, der hier Statthalter
6 הוה לם אגורא זי יהו אלהא זי ביב בירתא יהעדו מן תמה אחר וידרנג זך ist: der Tempel des Gottes JHW, der in der Burg von Elephantine ist, soll von hier verschwinden. Danach Widranga, dieser
7 לחיא אגרת שלח על נפין ברה זי רבחיל הוה בסון בירתא לאמר אגורא זי ביב Bösewicht, schickte einen Brief an Nefajan, seinen Sohn, der General in der Burg von Syene ist, um zu befehlen: der Tempel, der in der Burg
8 בירתא ינדשו von Elephantine ist, soll zerstört werden.
Es folgt eine Beschreibung der Zerstörung des Tempels durch Nefajan und seine ägyptischen Soldaten.
15 וכזי כזנה עביד אנחנה עם נשין ובנין שקקן לבשן הוין וצימין ומצלין ליהו מרא שמיא Aber als solches geschah, kleideten wir uns mit Frauen und Kindern in Sackleinen und fasteten und beteten zu JHW, dem Herrn des Himmels.
Jedanja beklagt seine vergebliche Korrespondenz mit den Jerusalemer Priestern und bittet den Adressaten um Unterstützung.
24 אגרה מנך ישתלח עליהום על אגורא זי יהו אלהא Ein Brief werde von dir zu ihnen geschickt über den Tempel des Gottes JHW,
25 למבניה ביב בירתא לקבל זי בנה הוה קדמין ומחתא ולבונתא ועלותא י{{ה}}קרבון ihn zu errichten in der Burg von Elephantine, wie er errichtet war zuvor. Und das Opfer und das Räucheropfer und das Brandopfer sollen dargebracht werden
26 על מדבחא זי יהו אלהא בשמך [...] auf dem Altar des Gottes JHW in deinem Namen [...]
27 [...] וצדקה יהוה לך קדם יהו אלה [...] Und du wirst Gerechtigkeit haben vor JHW, dem Gott
28 שמיא des Himmels.
4 זי = bibl.-aram. דִּי, ebenso זך = דֵּך, זנה = דְּנָה
Arsames ist die griech. Form des pers. Aršâma
5 יב = ägypt. ꜣbw = griech. Elephantine
חנוב = ägypt. ẖnmw (widderköpfiger Schöpfergott)
5/6 Mir geht hier ein Verb ab; ich habe daher aus לם ein verbum dicendi ergänzt.
7 סון = ägypt. šwnw = hebr. סְוֵנֵה Hes 29,10; 30,6 = griech. Syene, heute Assuan, am Westufer des Nils gegenüber Elephantine

Dieser Brief ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Einerseits weil die Juden in Elephantine auch nach der Kultreform des Josia nichts dabei fanden, einen eigenen Tempel zu unterhalten. Und andererseits, weil der Gottesname hier in der Kurzform JHW (die meist als Jahu vokalisiert wird) erscheint, die im Hebr. nur als Bestandteil von Eigennamen auftritt.

Es gibt in den Elephantinepapyri noch etliche weitere Belegstellen für den Gottesnamen JHW. Er tritt auch in der Schreibung JHH auf. Doch mögen berufenere Geister dies Feld beackern (non omnia possumus omnes).

Antike Belege zur Aussprache

Clemens von Alexandria

Titus Flavius Clemens (ca. 150-215), wohl ein Athener, Leiter der christlichen Katechetenschule in Alexandria, schreibt in seinem Werk Stromateis (auch als Stromata zitiert, dt. heißt beides etwa „Teppiche“) über die mystische Bedeutung des Tempels und seiner Einrichtung (Strom. 5,6,34,4-6):

πάλιν τὸ παραπέτασμα τῆς εἰς τὰ ἅγια τῶν ἁγίων παρόδου, Wiederum der Vorhang des Zugangs zum Allerheiligsten,
κίονες τέτταρες αὐτόθι, ἁγίας μήνυμα τετράδος διαθηκῶν παλαιῶν, dort vier Säulen, Hinweis auf die heilige Vierzahl der alten Bünde [Adam, Noah, Abraham, Moses],
ἀτὰρ καὶ τὸ τετράγραμμον ὄνομα τὸ μυστικόν, ὃ περιέκειντο οἷς μόνοις τὸ ἄδυτον βάσιμον ἦν· jedoch auch der geheimnisvolle vierbuchstabige Name, den (diejenigen) umhatten [als Bestandteil des Priestergewandes, Ex 28,36], welchen allein das Unbetretbare [d.h. das Innerste des Tempels] zugänglich war;
λέγεται δὲ Ἰαουε, ὃ μεθερμηνεύεται ὁ ὢν καὶ ὁ ἐσόμενος. er wird Iaue genannt, was übersetzt heißt der Gegenwärtige und der Zukünftige [wörtl: der Seiende und der sein Werdende].
καὶ μὴν καὶ καθʼ Ἕλληνας θεὸς τὸ ὄνομα τετράδα περιέχει γραμμάτων. Aber auch nach den Griechen umfasst das Wort Gott eine Vierzahl von Buchstaben [d.h. besteht aus vier Buchstaben: TH-E-O-S].

Griech. Text aus: Clemens Alexandrinus, 2. Bd.: Stromata Buch I-VI. Hg. v. Otto Stählin, in 3. Aufl. neu hg. v. Ludwig Früchtel. Berlin: Akademie-Verlag, 1960 (Die griech. christl. Schriftsteller der ersten Jh. 52). Eine  engl. Übersetzung des 5. Buches der Stromateis findet man bei der Christian Classics Ethereal Library (CCEL).

Der Name trägt in der Ausgabe von Stählin/Früchtel keinen Akzent, sondern eine Lineola (wohl um ihn als nomen sacrum zu kennzeichnen). Der kritische Apparat vermerkt als Varianten neben dem bemerkenswerten ἰαού iau nur orthographische Varianten mit αι (das in hellenist. Zeit zu E geworden ist). Die Aussprache des Tetragramms war also ja(h)we oder ja(h)wä.

Epiphanius von Salamis

Epiphanios (ca. 315-403) wurde in Palästina als Sohn jüdischer Eltern geboren und war Bischof von Salamis (auf Zypern). In seinem Panarion haer(esium?) („Arzneikasten gegen alle Irrlehren“, oft auch unter dem Titel Adv(ersus) haer(eses) „Gegen Irrlehren“ zitiert) berichtet er von einer seltsamen Taufliturgie, die an die Einweihung in einen Mysterienkult erinnert und in deren Verlauf auch einige (pseudo-?)hebräische Formeln aufgesagt werden (34,20,6f):

καὶ ταῦτα μὲν ἐπιλέγουσιν αὐτοὶ οἱ τελοῦντες, ὁ δὲ τετελεσμένος ἀποκρίνεται· Auch dies sagen die Einweihenden selber, der Eingeweihte aber antwortet:
ἐστήριγμαι καὶ λελύτρωμαι καὶ λυτροῦμαι τὴν ψυχήν μου ἀπὸ τοῦ αἰῶνος τούτου καὶ πάντων τῶν παρʼ αὐτοῦ ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ Ἰαώ, ὃς ἐλυτρώσατο τὴν ψυχὴν αὐτοῦ εἰς ἀπολύτρωσιν ἐν τῷ Χριστῷ τῷ ζῶντι. Ich bin gestärkt und erlöst und kaufe los meine Seele von dieser Welt und allem, was von ihr stammt, im Namen des Iao, der seine Seele losgekauft hat zu einer Erlösung in dem lebendigen Christus.
εἶτʼ ἐπιλέγουσιν οἱ παρόντες· εἰρήνη πᾶσιν, ἐφʼ οὓς τὸ ὄνομα τοῦτο ἐπαναπέπαυται. Dann fügen die Anwesenden hinzu: Friede allen, auf denen dieser Name beruht(?).

Griech. Text aus: Epiphanius (Ancoratus und Panárion), hg. v. Karl Holl, 2. Bd.: Panarion haer. 34-64. Leipzig: Hinrich, 1922.

Wenn denn der Gottesname gemeint ist, ist seine Aussprache wohl jaho oder jaw gewesen. Haben wir es hier mit frühen Vorläufern von Jehovas Zeugen zu tun?

Theodoret von Kyrrhos

Theodoretos (393-466), aus Antiochia in Syrien gebürtig, Bischof von Kyrrhos in Nordsyrien, schrieb u.a. Quaestiones in Octateuchum („Fragen zum Achtrollenbuch“, d.i. die 5 Bücher Mose, Josua, Richter, Samuel). Die 15. Frage zum Buch Exodus lautet:

Τί ἐστι «Καὶ τὸ ὄνομά μου Κύριος οὐκ ἐδήλωσα αὐτοῖς»; Was bedeutet „Und meinen Namen HERR habe ich ihnen nicht geoffenbart“ (Ex 6,3)?
Διδάσκει πόσης αὐτὸν καὶ τιμῆς καὶ εὐμενείας ἠξίωσεν. Es lehrt, wie großer Ehre und Wohlwollens er ihn für würdig hielt.
Ὃ γὰρ τοῖς πατριάρχαις οὐκ ἐδήλωσεν ὄνομα, τοῦτο αὐτῷ δῆλον ἐποίησεν· ἔφη γὰρ πρὸς αὐτὸν, «Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν.» Denn den Namen, den er den Patriarchen nicht geoffenbart hat, den hat er ihm offenbar gemacht; denn er sagte zu ihm: „Ich bin der Seiende.“
Τοῦτο δὲ παρʼ Ἑβραίοις ἄφραστον ὀνομάζεται· ἀπείρηται γὰρ αὐτοῖς τοῦτο διὰ τῆς γλώττης προφέρειν. Dieser heißt bei den Hebräern unaussprechlich; denn es ist ihnen verboten, diesen mit der Zunge hervorzubringen [=auszusprechen].
Γράφεται δὲ διὰ τῶν τεσσάρων στοιχείων· διὸ καὶ τετράγραμμον αὐτὸ λέγουσι. Er wird aber mit den vier Buchstaben geschrieben; deshalb nennt man ihn auch vierbuchstabig [Tetragramm].
Τοῦτο δὲ καὶ τῷ πετάλῳ ἐπεγέγραπτο τῷ χρυσῷ, ὃ τῷ μετώπῳ τοῦ ἀρχιερέως ἐπετίθετο τῇ ταινίᾳ τῆς κεφαλῆς προσδεσμούμενον. Dieser war auch auf das goldene Plättchen geschrieben, welches auf die Stirn des Hohenpriesters gelegt wurde, an der Kopfbinde angebunden.
Καλοῦσι δὲ αὐτὸ Σαμαρεῖται μὲν Ἰαβὲ, Ἰουδαῖοι δὲ Ἀϊά. Die Samariter aber nennen ihn Iabe, die Juden Aia.

Im kritischen Apparat steht: Ἀϊά. Cod. et Pic. Ἰά. Die vom Herausgeber benutzte Handschrift und die griech. Theodoretausgabe von Ioannes Picus (1558) haben also Ia. Woher die Lesart Aia stammt, ist mir unklar.

Griech. Text nach: Theodoreti Cyrensis episcopi opera omnia, post rec. Jacobi Sirmondi ed. Joan. Ludov. Schulze. Paris: Migne, 1864 (Patrologia Graeca 80). Es gibt, glaube ich, eine neuere Ausgabe des Textes in den Sources chrétiennes, diese war mir aber nicht zugänglich.

Die Samarit(an)er haben das Tetragramm also wohl ja(h)we oder ja(h)wæ ausgesprochen (zu Theodorets Zeit war das Beta bereits spirantisiert, wurde also wie unser v ausgesprochen). Die Juden sprachen es vermutlich nur noch in einer verkürzten Form ja(h) aus.

Die Kurzformen des Namens

In theophoren Namen (d.h. Eigennamen mit dem Gottesnamen als Namensbestandteil) erfährt das Tetragramm verschiedene Verkürzungen, die unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob es am Anfang oder am Ende des Eigennamens steht.

Das offenbar zweisilbig gesprochene Tetragramm (mit vokalischem Auslaut, der durch das Schluß-H gestützt wird) wird nach Ausfall des auslautenden Vokals zu *jáhw. Der Halbvokal W wird am Wortende zu U: jáhu. Am Wortanfang wird dann das vom Ton weit entfernte A zu Schwa verdünnt: *jehu, das U wird (masoretisch?) zu O: jeho.

Am Wortende konnte aus *jahw/jahu durch weitere Verkürzung jaw (nur inschriftlich belegt), aus jahu konnte ja entstehen. Letzteres kommt (meist mit konsonantischem H יָהּ jah) gelegentlich auch als eigenständige Form des Gottesnamens vor (Ex 15,2 und vor allem im Wort Halleluja, mit stummem H vielleicht Hld 8,6).

Am Wortanfang wurde jeho verkürzt zu jo, dieses vor U später dissimiliert zu je.

vorne hinten
Schwund des Auslautvokals יְהוֹ- -jeho Jeho-natán, Jeho-šúaʿ יָ֫הוּ- jahu- Jirme-jáhu
weitere Verkürzung יוֹ- jo- Jo-natán, babyl. Jo-šúaʿ יָה- -ja Jirme-já
יֵ- je- Je-šúaʿ (griech. Jesus) -יו -jaw Miqne-jáw (s.o.)

Gelegentlich wurde versucht, eine Kurzform des Namens als die ursprüngliche anzusehen und von ihr aus die Langform zu erklären (am bekanntesten wohl Mowinckel). Doch sprachgeschichtlich ist der oben skizzierte Weg der plausiblere.

Zur Etymologie des Namens

Nach der Offenbarung beim Dornbusch in Ex 3,14 hängt der Name mit der Wurzel הוה/היה (zwei Lemmata, aber etymologisch das gleiche Wort) „geschehen, werden, sein“ zusammen:

וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים אֶל־מֹשֶׁה אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה וַיֹּאמֶר כֹּה תֹאמַר לִבְנֵי יִשְׂרָאֵל אֶהְיֶה שְׁלָחַנִי אֲלֵיכֶם׃ Und Gott sagte zu Mose: Ich bin, der ich bin. Und er sagte: So sollst zu den Israeliten sagen: Ich-bin hat mich zu euch geschickt.

In diesen Vers wurde viel Bedeutungsschweres hineingelesen. Er wurde verstanden als: ich bin, der ich (immer) war/sein werde = der Seiende (so die Septuaginta) oder der Ewige (so Rosenzweig). Heute wird er meist auf das Mit-Sein Gottes bezogen, also: der (für sein Volk) da ist (vgl. V.12: כִּי־אֶהְיֶה עִמָּך „ich werde mit dir sein“).

Doch scheint mir, daß Gott einfach nur sagt: „ich bin ich“ = „was fragst du mich nach meinem Namen?“ (Gen 32,30). Das würde bedeuten, daß Gott die Frage nicht beantwortet, sondern abweist: er ist der Unverfügbare und läßt sich nicht durch einen Namen herbeizwingen oder begreifen. (So oder so ähnlich haben wohl Walther Zimmerli und Gerhard von Rad die Stelle aufgefaßt.) Vgl. Ex 33,19: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“

Ungeachtet dessen ist es natürlich möglich, daß JHWH ein sog. Satzname (d.h ein Verb 3. Person Sg. Imperf.) ist. יַהְוֶה jahwæ kann dann entweder Qal sein: „er ist (da)/wird (da) sein; er geschieht = erweist sich als wirksam (?)“ oder Hifil (kausativ): „er läßt geschehen (was er verheißen hat); er macht werden = ruft ins Dasein (d.h. als Schöpfer)“. Daneben gibt es Ableitungen von anderen Wortwurzeln, wie „er weht, fährt durch die Lüfte“ (Wellhausen nach einer im Arab. belegten Wurzel), „er fällt (mit seinen Blitzen)“ (Hifil von הוה, als Qal belegt in Hi 37,6).

Der Bildungstyp wäre jaqtī (d.h. jaqtul mit ī als drittem Radikal). Betontes auslautendes -ī ist nach Klaus Beyer (Althebräische Grammatik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1969) im Hebr. zu langem æ geworden.

Zusammenfassung

Die Belege lassen zweierlei ziemlich zweifelsfrei erkennen:

  1. der erste Vokal war ein a
  2. der Name wurde zweisilbig ausgesprochen

Als am wahrscheinlichsten darf gelten, daß das Tetragramm יַהְוֶה jahwæ (das erste H hörbar, das zweite stumm) gelautet hat. Dies würde auch mit der Deutung als Satznamen einer Wurzel III ī (ל׳ה) übereinstimmen.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Änderung: 24. Aug. 2019