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Darf eine Frau lehren?


1Tim 2,11-15 ist ein locus classicus zur Stellung der Frau in der Gemeinde:

11 γυνὴ ἐν ἡσυχίᾳ μανθανέτω ἐν πάσῃ ὑποταγῇ· Eine Frau soll in Stille lernen in aller Unterordnung;
12 διδάσκειν δὲ γυναικὶ οὐκ ἐπιτρέπω, οὐδὲ αὐθεντεῖν ἀνδρός, ἀλλ’ εἶναι ἐν ἡσυχίᾳ. zu lehren aber gestatte ich einer Frau nicht, auch nicht über einen Mann zu herrschen, sondern in Stille zu sein [fordere ich von ihr].
13 Ἀδὰμ γὰρ πρῶτος ἐπλάσθη, εἶτα Εὕα. Denn Adam wurde zuerst gebildet, dann Eva.
14 καὶ Ἀδὰμ οὐκ ἠπατήθη, ἡ δὲ γυνὴ ἐξαπατηθεῖσα ἐν παραβάσει γέγονεν· Und Adam ist nicht getäuscht worden, die Frau aber ist getäuscht worden und in Übertretung geraten;
15 σωθήσεται δὲ διὰ τῆς τεκνογονίας, ἐὰν μείνωσιν ἐν πίστει καὶ ἀγάπῃ καὶ ἁγιασμῷ μετὰ σωφροσύνης. sie wird aber durch das Kindergebären gerettet werden, wenn sie [= die Frauen] bleiben in Glauben und Liebe und Heiligung mit Besonnenheit (od. Sittsamkeit).

Ich habe mich bereits an anderer Stelle (Sach- und Worterklärungen der Luther 2017 und Rudolf Ebertshäusers Kritik#Frau) kurz zu diesem Problemkreis geäußert. Nun erschien aber jüngst (2022) ein Artikel zu dieser 1Tim-Stelle in der Faszination Bibel, in welchem der Autor Mathis Sieber allerhand Klimmzüge unternimmt, um einerseits der Frau das Lehren prinzipiell irgendwie doch zu gestatten und andererseits nicht zugeben zu müssen, dass diese Stelle zeitbezogen ist und so für uns heute nicht mehr gelten kann. Dabei stellt er auch einige fragwürdige Behauptungen zum griech. Text auf, die ich nicht unwidersprochen lassen möchte. Die umfängliche Literatur zu dieser umstrittenen Bibelstelle aufzuarbeiten würde meine Möglichkeiten übersteigen.

Dass das Verbot zu lehren für die Frau nur dann gelte, wenn sie nicht vorher gelernt habe, wie Sieber behauptet, ist aus dem griech. Text kaum herauszulesen. Griech. δέ de drückt im eigentlichen Sinn einen Gegensatz aus: „aber, dagegen, andererseits“; in unserem Text zweimal: „lernen – lehren“ (V. 11), „Adam – die Frau“ (V. 14). Erst in V. 15 ist δέ abgeschwächt zu einer Weiterführung ohne ausgedrückten Gegensatz. „Zwar – aber“ heißt auf Griech. bekanntlich μέν – δέ. Siebers Wiedergabe des δέ mit „so aber“ (S. 23a), „sonst“ (d.h. „andernfalls“, S. 24a) ist m.W. ohne Beispiel in der Literatur.

Was mit „herrschen“ genau gemeint ist, wissen wir nicht. Das seltene griech. Verb αὐθεντέω authentéō ist vom Subst. αὐθέντης authéntēs „Urheber (einer Handlung), Machthaber, Herr“ abgeleitet und bedeutet zumeist „Herr sein, herrschen“ (wie κυριεύω kyrieúō). Stenschke schlägt „Autorität ausüben“ (im/beim Lehren) als konkrete Bedeutung für unsere Stelle vor. Doch erscheint mit das zu einschränkend. Mir will scheinen, der Apostel möchte jede Form von Dominanz der Frau über den Mann abweisen.

Von welcher „Unterordnung“ der Frau V. 11 redet, kann wohl kaum in Frage stehen: natürlich von der unter ihren kýrios; das ist je nach Familienstand der Vater, Bruder, Ehemann usw. (vgl. Eph 5,22; 1Kor 14,34).

Griech. ἡσυχία hēsykhía bedeutet „Ruhe, Muße, Rast, Friede, Stille, Stillschweigen“, ἐν ἡσυχίᾳ „in Frieden“, aber auch „schweigend“. Es kann also synonym zu σιγή sigḗ „Schweigen, Stille, Ruhe“ sein, vgl. Apg 21,40; 22,2: πολλῆς δὲ σιγῆς γενομένης „als viel (= große) Stille eingetreten war“, μᾶλλον παρέσχον ἡσυχίαν „sie legten (noch) mehr Stille an den Tag“. Die hēsykhía, zu der die Frau zweimal aufgefordert wird, ist wohl gemeint als Gegenteil von (öffentlich) reden, debattieren. Es geht hier um Lärm- und Streitvermeidung, nicht um Stressvermeidung (vgl. auch 1Tim 5,13).

V. 15 ist nach allgemeiner Ansicht als Abweisung enkratitischer Tendenzen der Gnosis zu verstehen, die Frauen dazu aufrief, sich der Sexualität und Mutterschaft zu verweigern, weil dies ihrer spirituellen Entwicklung, ja vielleicht sogar ihrem Heil im Wege stehe. Doch ist der Vers missverständlich formuliert: die Frau wird wohl kaum durch Kinderkriegen gerettet, sondern durch das Bleiben in Glauben, Liebe und Heiligung, wozu für die Frau das Kindergebären (im biographischen Regelfall) dazugehört.

Gelegentlich beziehen Ausleger das „wenn sie bleiben“ auf die Kinder. Das wäre zwar sprachlich naheliegender, denn bezogen auf die Frau ist der Wechsel vom Sg. in den Pl. schon ein irritierender Anakoluth. Das würde die Stelle aber inhaltlich noch unverständlicher machen. Wie kann das Heil der Frau vom Glauben ihrer Kinder abhängig gemacht werden?

Meine eigene, unmaßgebliche Ansicht zu diesem Abschnitt: Der frühen Kirche waren emanzipatorische Themen (Frauen, Sklaven) kein Anliegen; angesichts der nahe bevorstehenden Parusie tat einzig Evangelisation Not. Man musste aber mancherorts feststellen, dass Frauen auf der Kanzel nicht goutiert wurden. Es erwies sich als Hemmschuh für die Ausbreitung des Evangeliums. Daher entschied „man(n)“ sich dafür, die Frau auch im Kontext der Gemeinde auf die Stellung zu beschränken, die sie in der Gesellschaft hatte. (Ob das überall so gesehen und befolgt wurde, ist freilich fraglich.)

Die nachträgliche Lektüre von Stenschkes Aufsatz hat mir gezeigt, dass ich mit meiner Ansicht nicht ganz allein dastehe. Das erweist sie noch nicht als richtig, aber zumindest als nicht so weit hergeholt.

Die theologische Begründung dafür ist – wie meist, wenn mit Adam und Eva argumentiert wird (z.B. 1Kor 11,7-9) – lahm. „Adam ist nicht getäuscht worden“ – wieso war er dann nicht Manns genug, zu widersprechen und die verbotene Frucht abzulehen? „Eva ist in Übertretung geraten“ – und Adam etwa nicht? Ich würde dem Apostel gerne zugutehalten, dass er sich hier gegen Bibelauslegungen wendet, die aus der Schöpfungsgeschichte eine Vorordnung der Frau vor dem Mann herausgelesen haben. (Tatsächlich wird die Herrschaft des Mannes als Folge des Sündenfalls gesehen, s. Gen 3,16b.) Aber viel wahrscheinlicher ist, dass die damalige jüdische Standardauslegung zu diesem Thema, die Adam zu exkulpieren versuchte, auch von christlicher Seite dankbar als Argumentationshilfe benutzt wurde. (Übrigens ist der semantische Unterschied zwischen ἀπατάω und ἐξ-απατάω – beides heißt „täuschen, betrügen“ – so gering wie der zwischen dt. jmd. grüßen und jmd. be-grüßen. Er taugt nicht, um darauf belastbare exegetische Schlussfolgerungen aufzubauen.)

In unserer westlichen Kultur würde man der Evangelisation mit dem Festhalten am Lehrverbot für Frauen keinen Gefallen tun, ganz im Gegenteil. In einer muslimisch geprägten Kultur mag das anders aussehen. Ich votiere dafür, auch hier die Frage zu stellen, was dem Evangelium dient, „was Christum treibet“. Die Forderung nach dem Kopftuch und „das Weib schweige in der Gemeinde“ wird bei es uns in der Regel nicht sein.

Die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, die es Frauen ermöglicht, zu studieren, einen Beruf zu ergreifen, große Konzerne zu lenken, ja Regierungschefin zu werden, ist ebenso als gesellschaftlicher Fortschritt zu werten wie die Abschaffung der Sklaverei, die Einführung der Sozialversicherung (was das Problem der „Witwen und Waisen“ entschärft und eine Neubewertung des vierten Gebots nötig macht) oder die Einführung demokratischer, partizipativer Regierungsformen (was z.B. Stellen wie Röm 13,1 teilweise obsolet macht). Niemand, der bei klarem Verstand ist, kann sich die Wiedereinführung der Sklaverei oder die Wiederherstellung des Römischen Imperiums wünschen. Ebensowenig ist m. E. eine Abschaffung oder Einschränkung der Gleichberechtigung wünschenswert. Auch nicht in der Kirche.

Um meine Ansicht noch einmal unmissverständlich zusammenzufassen:

  1. 1Tim 2,11f sagt ganz klar, dass eine Frau nicht lehren darf.
  2. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen dieses Diktum erfolgt ist, sind heute nicht mehr gegeben. Das Lehrverbot ist somit obsolet.

Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 25. Sep. 2022