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Im Anfang war das Wort


Ende der 70er Jahre sind mein Freund Robert und ich nach Wels geradelt, wo es eine christliche Buchhandlung gab (eine Buchhandlung, die auf christliche Literatur, Bibeln, Kommentare etc. spezialisiert war). Wir wollten uns jeder eine neue Bibel kaufen, wussten aber noch nicht, welche Übersetzung. Zum Vergleich der Übersetzungen haben wir uns u.a. angeschaut, wie der Johannesprolog übersetzt wird. Ich bin mir nicht mehr sicher, wofür Robert sich entschieden hat – ich glaube, es war eine Pattloch-Bibel (Hamp/ Stenzel/ Kürzinger). Ich bin jedenfalls mit einer Schlachter-Bibel mit breitem Schreibrand heimgekehrt.

Joh 1,1 lautet bekanntlich:
Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.
Luther übersetzte (letzter Hand 1545):
„Im Anfang war das Wort / Und das wort war bey Gott / und Gott war das Wort.“
Nun hätte das griech. lógos auch anders wiedergegeben werden können. Es bedeutet (auf die wesentlichen Grundbedeutungen eingedampft) „(Berechnen:) Berechnung, Rechenschaft, Ansehen, Grund, Vernunft; (Sprechen:) Wort, Rede, Erzählung, Schrift“ (s. die umfangreichen Lemmata bei Pape[1] und Liddell/Scott[2]). Luther war geprägt durch eine katholische theologische Ausbildung und hatte die Übersetzung der Vulgata im Kopf:
In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum.

Tatsächlich kommt die Wiedergabe mit dt. „Wort“ wohl den theologischen Intentionen des Evangelisten am nächsten. Nicht etwa von der Weltvernunft der Stoiker redet er, sondern von Gottes schöpferischem Wort (Gen 1: „und Gott sprach: es werde …, und es ward …“; Ps 33,6: „durch das Wort JHWHs ist der Himmel gemacht worden“). Doch wie haben das andere Übersetzer gesehen? Hier eine Blütenlese:

Übersetzungen, die ich nur online einsehen konnte, sind mit einem Link auf die Quelle – meist www.bibleserver.com ­– versehen. Allfällige Fußnoten zur Übersetzung von lógos sind mitvermerkt.

Antike

Sahid. Horner ϩⲛ̄ ⲧⲉϩⲟⲩⲉⲓⲧⲉ ⲛⲉϥϣⲟⲟⲡ ⲛ̄ϭⲓϣⲁϫⲉ.
Peschitta CAL ܒܪܺܫܺܝܬܼ ܐܺܝܬܼܰܘܗ̱ܝ ܗ̱ܘܳܐ ܡܶܠܬܼܳܐ܂

Sahidisch ϣⲁϫⲉ šaǧe bedeutet „Rede, Wort, Sache“. Syrisch ܡܶܠܬܼܳܐ melle heißt „Wort, Rede“.
In der gotischen Übersetzung sind die ersten vier Kapitel des Joh leider nicht erhalten.

Deutsche

Menge 1949/94 Im Anfang war das Wort
Der Ausdruck »das Wort« (griech. der Logos) bezeichnet hier (wie auch 1,14 u. Offb 19,13) den Gottessohn als den Offenbarer und Willensvollstrecker Gottes.
Schlachter 1951/75 Im Anfang war das Wort
Gute Nachricht 1991 Am Anfang, bevor die Welt geschaffen wurde, war Er, der ›das Wort‹ ist.
Das jüd. N.T. 1994[3] Im Anfang war das Wort
Schlachter 2000 Im Anfang war das Wort
»Das Wort« (gr. logos) ist ein Name des Herrn Jesus Christus (vgl. 1Joh 1,1; Offb 19,13).
Elberfelder 2001 Im Anfang war das Wort
griech. logos; das griech. Wort bedeutet auch Rede, Grund, Gedanke, Denkvermögen
Hoffnung für alle 2002 Am Anfang war das Wort.
Einheitsüb. 2006 Im Anfang war das Wort
Der griechische Ausdruck für »das Wort« (ho lógos) hat auch eine Bedeutungsgeschichte in der griechischen Philosophie, knüpft hier aber an den biblischen Schöpfungsbericht (Gen 1: »Gott sprach«) und jüdisch-griechische Gedanken über die »Weisheit« und das »Wort« an, durch die man Gottes Schöpfungstätigkeit verdeutlichte.
Bibel in gerechter Sprache 2006 Am Anfang war die Weisheit
[…] Eine einmalige und herausragende Stellung hat die Rede von logos / Wort im Prolog des Joh: Danach war »das Wort« am Anfang vor der Schöpfung bei Gott (1,1) und dieses Wort wurde Fleisch (1,14). Dahinter steht eine lange und komplexe Geschichte des »Wortes«. […] Wenn in Joh 1 logos mit »Weisheit« wiedergegeben wird, wird damit ein Element aus der Vorgeschichte des Konzeptes einer personalen Größe »Wort«, die der Schöpfung vorangeht und ihr als Ordnung zugrunde liegt, zum Verständnis dieses Textes herangezogen.
Zürcher 2007 Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos.
Für die Wendung "das Wort, der Logos" steht im griechischen Text nur der Begriff 'logos'. Die Übersetzung gibt den griechischen Begriff doppelt wieder, um anzudeuten, dass dieser zwar 'Wort' heissen, aber auch eine umfassende, bis ins Kosmologische reichende Bedeutung annehmen kann.
Volxbibel 3.0 2009 Als Erstes war das Wort da.
Das Buch 2009 Zuerst das Wort. Ganz am Anfang war es. Das Wort.
Neue Genfer Üb. 2011 Am Anfang war das Wort
[…] "das Wort" (griechisch "ho lógos," »der Logos« – eine männliche Form), kann aber auch auf eine männliche Person verweisen. In der Einleitung des Johannes-Evangeliums (Verse 1 bis 18) bezeichnet "das Wort" Jesus Christus selbst; siehe die ausdrückliche Gleichsetzung in Vers 14.
Einheitsüb. 2016 Im Anfang war das Wort
Luther 2017 Im Anfang war das Wort
Gute Nachricht 2018 Am Anfang war das Wort.
Neue-Welt-Üb. 2018 Am Anfang war das Wort
In diesem Kapitel ist „Wort“ ein Titel für Jesus.
BasisBibel 2021 Von Anfang an gab es den, der das Wort ist.
Wort: Wörtlich »Logos«. Der philosophische Fachbegriff ist im Griechischen männlich (nicht sächlich) und kann deshalb mit einer Person identifiziert werden. Im Johannesevangelium bezeichnet er Jesus, der als Wort bereits vor der Schöpfung bei Gott war und durch den Gott die Welt geschaffen hat.

Mich überrascht, dass nicht mehr Übersetzer die Wiedergabe „am Anfang war der Logos“ gewählt haben. Logos wäre dann ein theologischer Fachbegriff wie z.B. Evangelium, Prophet u.ä., den man in einer Fußnote erklärt. Stattdessen haben sich fast alle Übersetzer für „Wort“ entschieden. Und etliche haben dann in einer Anmerkung erklärt, was es damit auf sich hat.

Interessant ist, dass die Gute Nachricht von einer stark erklärenden Wiedergabe 1991 zu einer simplen wörtlichen Übersetzung 2018 zurückgekehrt ist. Die BasisBibel wiederum hat auf die erklärende Wiedergabe zurückgegriffen.

Aus der Reihe fällt die Übersetzung in gerechter Sprache. Die Begründung im Glossar, warum man lógos mit „Weisheit“ übersetzt hat, lässt nur zwischen den Zeilen erkennen, was der eigentliche Grund war. Einerseits geht es um eine stärkere Annäherung an die jüdische Vorstellungs- und Begriffswelt im Sinne des jüdisch-christlichen Dialogs (vgl. etwa Spr 8,22-30). Und andererseits geht es um Genderideologie (Übersetzende statt Übersetzer!) und darum, dass man deshalb ein feminines Nomen wollte: „die Weisheit“. Doch bei aller theologischen Nähe von Wort und Weisheit: genau davon hat sich der Evangelist durch seinen lógos abgegrenzt. Andernfalls hätte er sophía geschrieben. Diese Übersetzung disqualifiziert sich für mich durch ihre ideologiegetriebene Textverfälschung. Sie erinnert stark an Faust in der Studierstube (1224-37)[4]:

Geschrieben steht: »im Anfang war das Wort
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat!

(Frei nach Robert Lembke: Welches Schweinderl hätten S'denn gern?)

Englische

King James 1769 In the beginning was the Word
Living Bible 1971 Before anything else existed, there was Christ with God.
Literally, “The Word,” meaning Christ, the wisdom and power of God and the first cause of all things; God's personal expression of himself to men.
New International V. 1997 In the beginning was the Word
New International Reader’s V. 2014 In the beginning, the Word was already there.
English Standard V. 2016 In the beginning was the Word

Auffällig ist die Living Bible, die „Christus“ verwendet (der ja mit dem Logos gemeint ist, V.14: „und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“).

Französische

Louis Segond 1939 Au commencement était la Parole Am Anfang war das Wort
Bible de Jérusalem 1998 Au commencement était le Verbe
La Bible du Semeur 2015 Au commencement était celui qui est la Parole de Dieu. Am Anfang war derjenige, der das Wort Gottes ist.

Das Frz. unterscheidet zwischen parole „Wort, Rede, Sprache“ („ein tröstendes Wort“, Mz. Worte) und mot „Wort“ („ein deutsches Wort“, Mz. Wörter). Verbe ist hauptsächlich das „Zeitwort“; „das Wort“ ist es in Redewendungen wie le verbe haut „das große Wort“ = „vorlaut, anmaßend“.

Italienische

Riveduta 1927 Nel principio era la Parola Am Anfang war das Wort
La Parola è Vita 1994 Prima che esistesse qualsiasi altra cosa, cʼera Cristo. Bevor irgend etwas anderes existierte, gab es Christus.
CEI (Conferenza Episcopale Italiana) 2008 In principio era il Verbo
TILC (Traduzione Interconfessionale in Lingua Corrente) 2014? In principio,c’era colui che è «la Parola». Am Anfang gab es denjenigen, der »das Wort« ist.

Ital. parola heißt „Wort, Rede, Sprache“, verbo heißt „Zeitwort“ und „Wort“ in christlichem Kontext (als Wiedergabe des lat. verbum). Die Übersetzung der La Parola è Vita entspricht hier inhaltlich der Living Bible.

Tschechische

Bible kralická 1918 Na počátku bylo Slovo Am Anfang war (das/ein) Wort (das Tschech. hat keinen Artikel!)
Český ekumenický překlad 2001 Na počátku bylo Slovo
Slovo na cestu 2012 Kristus existoval od věčnosti, byl stále s Bohem Otcem a byl to Bůh sám. Christus existierte von Ewigkeit an, er war immerfort bei Gott dem Vater, und er war Gott selbst.
Bible 21 2020 Na počátku bylo Slovo

Tschech. slovo (Neutr., daher bylo) heißt „Wort“. Aus der Reihe tanzt Slovo na cestu („Wort für den Weg“), die tschech. Version der Living Bible: kein Wort vom „Wort“. (S.a. meine Seite über Tschechische Bibelübersetzungen.)

Sonstige

Beza 1642[5] In principio erat Sermo ille
Delitzsch 1901[6] בְּרֵאשִׁית הָיָה הַדָּבָר

Wieso sich Beza für sermo „Rede, Gespräch, Sprache“ entschieden hat, statt wie die Vulgata verbum „(einzelnes) Wort“ zu nehmen, vermag ich nicht zu sagen. Lógos kann beides bedeuten. (Ille „jener“ gibt den griech. Artikel wieder.) Hebr. דָּבָר dāḇār heißt „Wort, Sache“.

Fazit

Die überwältigende Mehrheit der Übersetzungen hat „Wort“. Einige verwenden stattdessen „Christus“, d.h. sie ersetzen den Signifikanten durch das Signifikat. Das ist tolerabel, da sich die Wiedergabe inhaltlich aus dem Kontext rechtfertigen lässt und da es im Sinne der Verständlichkeit geschieht. Doch ist so eine Ersetzung nie ganz unproblematisch, denn die Grenze zur Textverfälschung (wie bei der Bibel in gerechter Sprache) ist oft rasch erreicht.

  1. Pape, Wilhelm: Handwörterbuch der griechischen Sprache.– 3. Aufl. Braunschweig, 1914. s.v. λόγος
  2. Liddell, Henry George; Scott, Robert: A Greek-English Lexicon. Rev. and augm. throughout by Henry Stuart Jones, w. the assistance of Roderick McKenzie.– Oxford: Clarendon Pr., 1940. s.v. λόγος
  3. Das jüdische Neue Testament. E. Übers. d. N. T., die seiner jüd. Herkunft Rechnung trägt. V. David H. Stern. A. d. Engl. v. Sieglinde Denzel u. Susanne Naumann.– Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1994
  4. Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie Erster Teil.– Durchges. Ausg. Stuttgart: Reclam, 2000. S. 36
  5. Jesu Christi domini nostri Novum Testamentum. Übers. v. Theodor Beza. Gedr. Cambridge 1642.– Berlin: British and Foreign Bible Society, 1925
  6. ספרי הברית החדשה. A. d. Griech. ins Hebr. übers. v. Franz Delitzsch.– Berlin: British and Foreign Bible Society, 1901

Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 16. April 2023