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Deutsche Blindenschrift (Braille)


Die Blindenschrift aus erhabenen Punkten wurde von dem französischen Blindenlehrer Louis Braille (1809-1852), der seit seinem 5. Lebensjahr blind war, entwickelt und heißt daher Brailleschrift (sprich [bʁɑj-]; da das aber wie Breischrift klingt, sagen viele auch [bʁaɪ̯l-]). Die Zeichen bestehen aus einem 2x3-Punktraster, also 6 Punktpositionen, mithin gibt es 26 = 64 Möglichkeiten. Die Positionen sind wie folgt numeriert:

1 4
2 5
3 6
bzw. in binärer Kodierung
000001 001000
000010 010000
000100 100000

Die Schrift wurde für viele Sprachen und sprachunabhängige Verwendungszwecke (Notenschrift, Lautschrift, chemische Formeln usw.) adaptiert. Im folgenden soll die deutsche Blindenschrift in Grundzügen dargestellt werden.

Liste der 6-Punkt-Braillezeichen

Die Braillezeichen in der Reihenfolge der Unicode-Kodierung (die sich am binären Wert der gesetzten Punkte orientiert) mit ihren deutschen Bedeutungen (hauptsächlich laut Wikipedia):

als 2x3-
Tabelle
dieser
Computer
BRAILLE
PATTERN
deutsche Bedeutung
◯ 
BLANK Leerzeichen
⬤ 
DOTS-1 a, 1
◯ 
DOTS-2 Komma, mit davor Ordnungszahl 1.
⬤ 
DOTS-12 b, 2
◯ 
DOTS-3 Punkt
⬤ 
DOTS-13 k
◯ 
DOTS-23 Semikolon ;, mit davor Ordnungszahl 2.
⬤ 
DOTS-123 l
◯ 
DOTS-4 Anführungszeichen "
⬤ 
DOTS-14 c, 3
◯ 
DOTS-24 i, 9
⬤ 
DOTS-124 f, 6
◯ 
DOTS-34 äu
⬤ 
DOTS-134 m
◯ 
DOTS-234 s
⬤ 
DOTS-1234 p
◯ 
DOTS-5 Tilde ~
⬤ 
DOTS-15 e, 5, mit davor Eurozeichen
◯ 
DOTS-25 Doppelpunkt, mit davor Ordnungszahl 3.
⬤ 
DOTS-125 h, 8
◯ 
DOTS-35 Asterisk *, mit davor Ordnungszahl 9.
⬤ 
DOTS-135 o
◯ 
DOTS-235 Rufzeichen !, Pluszeichen +, mit davor Ordnungszahl 6.
⬤ 
DOTS-1235 r
◯ 
DOTS-45 Größer-Zeichen >, wird wie Caps-Lock verwendet, um eine Gruppe nachfolgender Zeichen als Großbuchstaben zu kennzeichnen; falls notwendig kann als Aufhebungszeichen verwendet werden.
⬤ 
DOTS-145 d, 4
◯ 
DOTS-245 j, 0 (Null)
⬤ 
DOTS-1245 g, 7
◯ 
DOTS-345 ä
⬤ 
DOTS-1345 n
◯ 
DOTS-2345 Obelus, Divisionszeichen ÷
⬤ 
DOTS-12345 q
◯ 
DOTS-6 Apostroph
⬤ 
DOTS-16 au
◯ 
DOTS-26 Fragezeichen, mit davor Ordnungszahl 5.
⬤ 
DOTS-126 eu
◯ 
DOTS-36 Bindestrich, verwendet als Trennungsstrich (Aus-¶hub), Auslassungsstrich (Hin- und Rückfahrt), Wortverbinder (U-Boot) und Bis-Strich (5-7)
⬤ 
DOTS-136 u
◯ 
DOTS-236 öffnendes Anführungszeichen oder », mit davor Ordnungszahl 8.
⬤ 
DOTS-1236 v
◯ 
DOTS-46 Dollarzeichen $, wird zur Kennzeichnung von Großbuchstaben (z.B. bei Eigennamen) vorgesetzt; als Währungszeichen muss vorgesetzt werden.
⬤ 
DOTS-146 ei
◯ 
DOTS-246 ö
⬤ 
DOTS-1246 Gravis `
◯ 
DOTS-346 Paragrafenzeichen §, ie
⬤ 
DOTS-1346 x
◯ 
DOTS-2346 ß
⬤ 
DOTS-12346 kaufmännisches Und-Zeichen, Et-Ligatur, neudt. „Ampersand“ &
◯ 
DOTS-56 Kleiner-Zeichen <
⬤ 
DOTS-156 sch
◯ 
DOTS-256 Schrägstrich / (sollte nicht als Divisionszeichen verwendet werden, auch nicht in km/h o.ä.), mit davor Ordnungszahl 4.
⬤ 
DOTS-1256 ü
◯ 
DOTS-356 schließendes Anführungszeichen oder «, Abk. für „Artikel“, mit davor Ordnungszahl 0.
⬤ 
DOTS-1356 z
◯ 
DOTS-2356 öffnende und schließende runde Klammer (), Gleichheitszeichen =, mit davor Ordnungszahl 7.
⬤ 
DOTS-12356 öffnende eckige Klammer [
◯ 
DOTS-456 Unterstrich _
⬤ 
DOTS-1456 ch
◯ 
DOTS-2456 w
⬤ 
DOTS-12456 Zirkumflex ^
◯ 
DOTS-3456 Rautezeichen #, zur Einleitung von Zahlen
⬤ 
DOTS-13456 y
◯ 
DOTS-23456 st, schließende eckige Klammer ]
⬤ 
DOTS-123456 Prozentzeichen %

Im Franz. wird außer den Anfangsbuchstaben von Eigennamen alles klein geschrieben. Daher konnte Braille der Großbuchstaben entraten. Auch die deutsche Blindenschrift verzichtet weitgehend auf Großschreibung; ausgenommen sind Abkürzungen (WHO, StGB), Symbole für Maßeinheiten (MHz, kW) und die Höflichkeitsform. Wo man Großbuchstaben braucht, wird das Hochstellzeichen für einen einzelnen Buchstaben vorgesetzt (vergleichbar der Shifttaste) bzw. für eine Buchstabengruppe (vergleichbar der CapsLock-Taste).

Systematik

Die Systematik Brailles ist eine aus 5 Zehnerreihen (Dekaden) bestehende Abfolge:

  1. Die erste Reihe nutzt nur die vier oberen Punkte. Hier sind die Buchstaben a-j bzw. die Ziffern 1-9 und 0.
    Die Anordnung der Punkte in dieser Reihe folgt keinem bestimmten Prinzip, sondern ist offenbar praktischen Erfordernissen geschuldet. Z.B. ständig zwischen , , und unterscheiden zu müssen, würde den Lesefluss wohl über Gebühr hemmen. Daher wurden die drei letzteren nicht in die Reihe aufgenommen.
  2. Die nächste Reihe hat im Vergleich zur ersten Reihe jeweils einen zusätzlichen Punkt unten links. Hier befinden sich die Buchstaben k-t.
  3. Die nächste Dekade hat im Vergleich zur ersten Reihe zwei zusätzliche Punkte unten. Hier stehen die Buchstaben u-z sowie im frz. Original die Buchstaben ç é à è ù.
  4. Die nächste Reihe hat im Vergleich zur ersten Reihe einen zusätzlichen Punkt unten rechts. Im frz. Original sind hier die Zeichen â ê î ô û ë ï ü œ w. Die dt. Blindenschrift hat diese Positionen mit dt. Sonderzeichen (ö, ß) und häufig verwendeten Zeichengruppen (au, ie, ch, sch) belegt.
  5. In der nächsten Reihe sind die Zeichen im Vergleich zur ersten Reihe um eine Punktzeile nach unten gerückt. Hier stehen Interpunktionszeichen.
  6. Zusätzlich gibt es für jede Dekade die beiden ersten Zeichen und um eine Spalte nach rechts verschoben. Hier sind je nach Sprache weitere Sonderzeichen oder Zeichenverbindungen.
1
a/1

b/2

c/3

d/4

e/5

f/6

g/7

h/8

i/9

j/0
  
"

>
2
k

l

m

n

o

p

q

r

s

t

äu

ä
3
u

v

x

y

z

&

%

[

ß

st ]

ie §

#
4
au

eu

ei

ch

sch

`

^

ü

ö

w

$

_
5
,

;

:

/

?

! +

() =

»

*

«

~

<

Die dt. Blindenschrift definiert einige Braille-Di- und -Tri-graphen, u.a.:

⠠⠤ ' - Gedankenstrich , auch als Streckenstrich (WienLinz) und Spiegelstrich (Aufzählungszeichen)
⠠⠔ ' * Anmerkungssternchen *
⠠⠶ ' () öffnende und schließende eckige Klammer []
⠰⠶ < () öffnende und schließende phonetische Klammer []
⠠⠦ ' „ öffnendes einfaches Anführungszeichen
⠠⠴ ' “ schließendes einfaches Anführungszeichen
⠐⠂ ~ , Schrägstrich /
⠸⠇ _ l senkrechter Strich |
⠄⠄⠄ . . . Auslassungspunkte
⠐⠥ ~ u kaufmännisches Und, Et-Ligatur &
⠼⠚⠴ # j/0 „/0. Prozentzeichen %
⠈⠴ " „/0. Gradzeichen °
⠈⠌ " äu Backslash \
⠈⠜ " ä At-Zeichen, „Klammeraffe“ @
⠈⠸ " _ Unterstrich _

Es gibt vier Kürzungsstufen:

Basisschrift
Alle Zeichen der Schwarzschrift (d.i. was wir Sehenden schwarz auf weiß schreiben) werden ohne Kürzung voll ausgeschrieben.
Vollschrift
Die acht Lautgruppen au, eu, ei, ch, sch, st, äu, ie werden durch jeweils ein Braillezeichen dargestellt, jedoch nicht, wenn die Laute zu unterschiedlichen Silben gehören: ⠓⠣⠞⠑eu·t·e, aber ⠍⠥⠎⠑⠥⠍ m·u·s·e·u·m; ⠁⠱⠑sch·e, aber ⠑⠎⠹⠁⠞⠕⠇⠕⠛⠬s·ch·a·t·o·l·o·g·ie.
Kurzschrift
Eine Liste von Lautgruppen wie an, be, ck, eh, ein, ge, lich, ll, ss, te, un u.a.m. wird mit jeweils einem Braillezeichen geschrieben. Hier darf auch über Silbengrenzen hinweg, nicht jedoch über die Kompositionsfuge von Wortzusammensetzungen hinweg gekürzt werden. Die Kürzung unterbleibt, wenn Mehrdeutigkeiten entstünden. Weiters werden einige Vorsilben wie aus-, ent-, ver- und Nachsilben wie -heit, -keit, -schaft, -ung durch jeweils ein Braillezeichen dargestellt. So entstehen Kurzformen wie ⠛⠶ ⠉ g·(·c = g·eh·en (ge- wird hier nicht gekürzt, weil keine Vorsilbe), ⠤⠎⠼⠻⠥ -·s·#·^·u = ver·s·ich·er·ung, ⠫⠮⠅ `·ß·k = ein·sam·keit. Darüberhinaus gibt es eine lange Liste von häufigen Wörtern, die durch ein oder zwei Braillezeichen geschrieben werden können. Das umfangreiche Regelwerk entnehme man dem System der deutschen Blindenschrift, S. 51ff.
Stenografie
Noch stärkere Verkürzung.

Computerbraille

Für manche Anwendungen sind 64 Zeichen zu wenig. Manche Programmiersprachen (C, Java) und Betriebssysteme (Linux und andere Unixoide) sind case-sensitive (warum gibt es dafür noch immer keinen deutschen Begriff?), oftmals auch die Eingabe von Benutzernamen und Kennwörtern. Doch ständiger Wechsel von Klein- und Großbuchstaben bzw. von Buchstaben zu Ziffern ist in Braille sehr mühselig. Und auch sonst müssten oft Di- und Trigraphen für ein einzelnes Zeichen verwendet werden. Daher wurden die Braillezeichen um eine vierte Punktreihe unten erweitert. Den beiden Punkten sind die Nummern 7 und 8 bzw. binär 01000000 und 10000000 zugeordnet. Damit gibt es 28 = 256 Möglichkeiten. Dies wird im sog. Computerbraille genutzt, um jedem Byte ein Braillezeichen zuzuordnen. Beim Eurobraille wird hierfür der ANSI-Zeichensatz bzw. ISO 8859-1 verwendet. Dabei erhalten z.B. Großbuchstaben einen zusätzlichen Punkt unten links, Ziffern zwei Punkte.

⬤ 
DOTS-145 d
⬤ 
DOTS-1457 D
⬤ 
DOTS-14578 4

Eine vollständige Eurobraille-Tabelle findet sich auf fakoo.de.

Musikschrift

Braille wurde an verschiedene Erfordernisse angepasst. So hat Louis Braille selbst bereits eine ausgeklügelte Notenschrift entwickelt. Die Buchstaben d-j entsprechen den Achtelnoten C-H (frz. do, re, mi, fa, so, la, ti). Durch einen Punkt unten rechts werden daraus die entsprechenden Viertelnoten, durch einen Punkt unten links (entsprechend den Buchstaben n-t) halbe Noten, durch zwei Punkte ganze Noten (bzw. Sechzehntel). Die Pausenzeichen folgen nicht dieser Systematik.

C D E F G A H    Pause
1/8, 1/128
1/4, 1/64
1/2, 1/32
1/1, 1/16

Taktgrenzen werden durch Blanks bezeichnet, daher gibt es normalerweise keine Zweideutigkeit bei der Notenlänge. Taktbezeichnungen werden als Zahlen geschrieben, z.B. ⠼⠙⠲ „# 4 4.“ d.i. (𝄞)4/4. Als Versetzungszeichen dienen ♯ (Kreuz), ♭ (B), ♮ (Auflösungszeichen). Darüberhinaus gibt es eine Menge an weiteren Zeichen, u.a. für Tempobezeichnungen (Forte, Piano, Crescendo usw., immer mit vorgesetztem ), Oktavenbezeichnungen, u.a.m.

Auch die IPA-Lautschrift kann (weitgehend) in Braille geschrieben werden. Es gibt Braille für mathematische und chemische Formeln usw.


Autor: Michael Neuhold (E-Mail-Kontakt)
Letzte Aktualisierung: 28. Juli 2025